Ossietzky-Tage
: Zivile Perspektive

■ Der fast 80-jährige Deserteur Ludwig Bauman kämpft weiter gegen Krieg

Zivile Perspektiven für unsere Gesellschaft: Danach suchen Oldenburger StudentInnen und Lehrende derzeit im Rahmen der „Carl-von-Ossietzky“-Tage an der gleichnamigen Universität. Die Veranstaltungen laufen in Eigeninitiative, denn die Unileitung hat sich längst andere Motti auf's Banner geschrieben.

Einer, der sein Leben gegen den Krieg gestanden hat, ist der Bremer Ludwig Baumann. Der Wehrmachtsdeserteur sprach über „Desertion als Hoffnung für den Frieden“, vor einer handvoll Interessierter. Junge Männer waren kaum dabei. Baumann kennt die Stimmung unter jungen Leuten, denn er wird oft von Schulen eingeladen. “Zur Bundeswehr will kaum einer, weil das eben ein bisschen ruppig und unbequem ist.“ Die Kriegsbeteiligung Deutschlands in Jugoslawien und in Afghanis-tan aber werde von den Schülern durchweg gut geheißen. „Krieg aber wertet Soldaten auf, die werden bald wieder mehr Zulauf haben“, fürchtet der alte Mann aus Bremen-Nord. Zeitung lesen und fernsehen, das könne er im Moment gar nicht ertragen, denn ihm ist die Berichterstattung zu einseitig. „Natürlich waren alle geschockt nach dem 11. September“, sagt er leise über seine Brille hinweg. „Man traute sich gar nicht mehr zu sagen: Warum sind wir nicht jeden Tag geschockt, über die Hungeropfer auf der Welt.“

Baumann tritt entschieden für ein gerechtere Verteilung in der Welt ein: „Wir nehmen überhaupt nicht mehr wahr, was wir verteidigen.“ Die Mittel nennt er heuchlerisch und verbrecherisch: „Wie glaubwürdig sind wir denn, wenn wir mit Bomben Menschenleben retten wollen, wenn 100.000 täglich den Hungertod sterben?“ Nein, er sei gar nicht aus solch politischen Erwägungen desertiert. Bei ihm sei einfach mit dem Tod der Mutter der Faden zur Autorität gerissen: Stiefel putzen, nein danke! Über Frankreich versuchte er 1942 nach Marokko zu fliehen. Er wurde gefangen genommen, zum Tode verurteilt, gefoltert, und dann zu lebenslanger Haft in verschiedene KZs gesperrt. Bis Heute streitet er als prominentester Wehrmachtsdeserteur um die Anerkennung als Nazi-Opfer. Sie würde auch geltendes Recht zu Fall bringen. Denn noch immer gilt er als vorbestraft: Für Deserteure gibt es nach bundesdeutschem Recht nach wie vor fünf Jahre Haft.

Ist Desertion also wirklich eine Perspektive für den Frieden? Haben die 30.000 verurteilten Wehrmachtsdeserteure den Krieg verhindern können? „Eine persönliche Entscheidung, keine Menschen zu erschießen, wenn das Früchte trägt – ist das keine Hoffnung für den Frieden?“, fragt Baumann. Immerhin habe sein Streiten um die Anerkennung eine politische Diskussion mit entfacht, die am 15. Mai 1997 den Bundestag zu einer überfälligen Entschließung brachte: Der zweite Weltkrieg wird fortan als „Angriffs- und Vernichtungskrieg“ und als „vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen“ bezeichnet. Und deutsche Beteiligung an einem völkerrechtlich problematischen Krieg? „Mich nimmt das mit“, sagt Baumann zaghaft. Am 13. Dezember wird Ludwig Baumann 80. Zwei Tage später liegt sein Antrag auf Anerkennung wieder mal dem Rechtsausschuss des Bundestages vor.

Marijke Gerwin

Die Ossietzky-Tage laufen noch bis morgen. Heute gibt es von 8 bis 20 Uhr Vorträge, unter anderem über die Sicherheitspakete, Uranmunition und die Folgen des 11. September. Morgen geht es ab 10 Uhr um Kulturtheorien, Jugendbewegung und Nationalsozialimus sowie psychologische Erklärungsversuche militärischer Gewalt. Den Abschlussvortrag „Wie Medien uns in den Krieg ziehen“ hält Eckhardt Spoo um 20 Uhr.