vorlauf
: Dialoge anprekären Orten

„Meine verlorene Tochter“ (20.45 Uhr, Arte)

Die junge Coralie ist an einer Überdosis Heroin gestorben. Ihre Mutter Catherine (von Regisseurin Brigitte Roüan selbst gespielt) fällt aus allen Wolken, als sie erfährt, dass ihre Tochter schon lange nicht mehr Biologie studiert hatte, sondern stattdessen in Nachtclubs Kokain verkaufte und mit Prostituierten und Zuhältern verkehrte. An Catherine nagt der Vorwurf, am Tod der Tochter Mitschuld zu tragen. Dann bekommt sie den anonymen Hinweis, dass Coralie ermordet wurde. Um das zu beweisen, sucht Catherine Zugang zum Millieu und beschließt, selbst anschaffen zu gehen. – Die mutige Gratwanderung einer Frau, die so den Dialog mit der verlorenen Tochter führt und gleichzeitig einen Akt von Selbstbestrafung an sich selbst vollzieht.

Roüan, die für Jacques Rivette, Bertrand Tarvernier und Alain Resnais bereits in den Siebzigerjahren vor der Kamera gestanden hat und 1990 für ihr Spielfilmdebüt „Outremer“ in Cannes ausgezeichnet wurde, drehte den Film im berüchtigten Nordpariser Rotlichtviertel, rund um die Place de Pigalle. Sie benutzte eine kleine handliche Digitalkamera, die der Regisseurin die Möglichkeit bot, weitgehend unbemerkt und ohne großen Aufwand an prekären Orten zu filmen. Die Personen, die hier auftreten, wirken nicht nur authentisch, sie sind es teilweise auch. An den Drehorten – ob es sich dabei um ein Fixerasyl, den Straßenstrich oder den Treffpunkt einer Selbsthilfegruppe handelt – wurde immer wieder auch mit Laien aus der Szene gearbeitet.

In dieser lebensbedrohlichen Hölle verortet Roüan das Psychogramm der Catherine. Hier ist die Filmemacherin sich selbst treu geblieben: Wie schon in „Am Morgen danach“ („Post coitum, animal triste“) zeichnet sie das Bild einer Frau in einer Extremsituation und erneut spielt ein tragischer Verlust dabei die entscheidende Rolle. Leider opfert die Regisseurin ihrem Ideal der kämpferischen und durchsetzungsfähigen Frau mitunter ein wenig den Realismus. So scheint die relative Mühelosigkeit, mit der Catherine sich in der gnadenlos harten Welt von Prostitution und Drogenhandel bewegt, doch zum größten Teil Roüans Wunschdenken entsprungen. LASSE OLE HEMPEL