Notfalls mit Sitzblockade

Widerstand gegen die NPD-Demo am Samstag in der Spandauer Vorstadt wächst. Zahlreiche Demos geplant. Jüdische Gemeinde will sich Neonazis in den Weg stellen. Route weiter unter Verschluss

von HEIKE KLEFFNER
und ULRICH SCHULTE

Der Widerstand gegen den für morgigen Samstag geplanten Aufmarsch von mehreren tausend Neonazis wächst. Vorstand, Rabbiner und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde wollen sich im Anschluss an das Vormittagsgebet vor der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße den Rechten entgegenstellen – „notfalls mit einer Sitzblockade“, sagte am Donnerstag Anetta Kahane, Sprecherin der Jüdischen Gemeinde. „Es wird sicher interessant zu sehen, wie deutsche Polizisten Juden von der Straße tragen, um Neonazis Platz zu machen.“ Es sei ein „besonderer Zynismus“, dass die Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung ausgerechnet durch das ehemalige Zentrum jüdischen Lebens in Berlin führen soll.

Als „unfassbar“ bezeichnete das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles in einem Brief an die Bundesregierung die Vorstellung, dass Juden in Berlin am Sabbat, dem jüdischen Ruhe- und Feiertag, vor ihren Gotteshäusern mit marschierenden Neonazis konfrontiert würden. Das Berliner Bündnis „Europa ohne Rassismus“ und der Bund der Antifaschisten (BdA) wiederholten gestern ihre Aufforderung, zeitgleich zum Neonaziaufmarsch möglichst zahlreich die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“ in den Räumen des Vereins „Kunst-Werke“ in der Auguststraße zu besuchen. Dort versammelte größere Menschenmengen könnten die Polizei dazu zwingen, den Neonaziaufmarsch umzuleiten, so die Hoffnung. Zirka 200 Teilnehmer des Berliner PDS-Parteitages haben sich für den Ausstellungsbesuch schon angekündigt. Gestern zogen die Grünen nach: Kultursenatorin Adrienne Goehler will auf eine Unterbrechung der Koalitionsverhandlungen am Samstag drängen.

Wer Straßenproteste vorzieht, kann 3.500 Polizisten im Einsatz bestaunen, sich von „Antikonfliktteams“ der Polizei be(un)ruhigen lassen oder sich an zahlreichen Kundgebungen des Bündnisses „Gemeinsam gegen Rechts“ entlang der Aufmarschroute beteiligen. Die früheste Demonstration beginnt um 10.30 Uhr unter dem Motto „Deutsche Täter sind keine Opfer“ am Hackeschen Markt.

Unterdessen hält die Innensenatsverwaltung die genaue Route der NPD weiter unter Verschluss. Gegenüber der taz sagte Sprecherin Svenja Schröder-Lomb nur: Es würde „dafür Sorge getragen, dass der besonderen Symbolik des betroffenen Raums Rechnung getragen wird“. Auflagen allerdings wurden schon erteilt. Verboten sind unter anderem Uniformen und „marschartige Formationen“ sowie „Marschmusik“. Auch Sprechchöre wie „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“, mit denen Neonazis bislang bei Aufmärschen in Berlin ungehindert das NS-Regime verherrlichen konnten, sind untersagt. Drei NPD-Redner bekamen außerdem Auftrittsverbot: Friedhelm Busse, Ex-Vorsitzender der verbotenen FAP, Wolfgang Nahrath, Ex-Chef der verbotenen Wiking-Jugend, und das frühere Waffen-SS-Mitglied Herbert Schweiger. Die NPD hat dagegen beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht. Unabhängige antifaschistische Initiativen gehen derweil davon aus, dass die Rechtsextremisten möglicherweise vom Sammelpunkt am Bahnhof Friedrichstraße über Chaussee- und Invalidenstraße zum Alexanderplatz geführt werden.

Wer sich am Samstag noch aktuell informieren will, schaltet ab 11 Uhr auf UKW 95,1 das „Anti-Nazi-Radio“ des PiratInnensenders „Freies Funken Berlin“ an.