Neonröhre und Schummerlicht

■ Schimmelpfennigs „Push up“ und „Vor langer Zeit im Mai“ am Schauspielhaus

Push up 1, 2, 3 – das klingt nach Schwindel-BH in den Größen small, medium, large. Ganz so verkehrt ist die Assoziation gar nicht. Im jüngsten Theaterstück von Roland Schimmelpfennig, das erst vor wenigen Wochen an der Berliner Schaubühne uraufgeführt worden ist, blähen sich die Protagonisten tatsächlich zu falscher Größe auf. Aber nicht um der erotischen Wirkung willen, sondern weil sie ihre Karriere anschieben wollen. In drei Boxkämpfen ähnlichen Dialogszenen fetzen sich Führungskräfte einer großen Firma um Aufstieg und Vormachtstellung. Im ersten Teil macht Angelika ihre Untergebene Sabine fertig, im zweiten zerreißt Robert den neuen Werbespot von Patricia in der Luft, im dritten prügeln sich der 60-jährige Hans und Internet-Freak Frank um den neuen Spitzenjob in Delhi. Gemeinsam ist allen Beteiligten ihr rücksichtsloser Ehrgeiz. Und ihre Fixierung auf den 16. Stock, die Chefetage, in der Kramer herrscht. Er ist die heimliche Hauptperson des Stücks, ein Phantom, das nie auftaucht.

Ursprünglich sollte Push up 1, 2, 3 als ganz normales Einzelstück am Schauspielhaus aufgeführt werden. Doch während der Proben fand das Team um Regisseur Jürgen Gosch, dass es für die große Bühne nicht abendfüllend genug sei. Nicht wegen seiner Kürze, sondern weil es fast nur an der glatten Oberfläche der Karrieristen kratzt. Um den „seelischen Raum“ zu öffnen, wurde kurzerhand ein älteres Stück von Hausautor Schimmelpfennig dazugenommen. Vor langer Zeit im Mai erzählt von einem Paar, das sich einmal geliebt hat und nach langen Jahren wieder begegnet. In 81 kurzen Bildern werden aus der Sicht unterschiedlichster Personen Momentaufnahmen aus ihrer Vergangenheit angeklickt.

Was verbindet nun die beiden Stücke? Wenn man so will, zeigen sie zwei Seiten einer Medaille: Push up 1, 2, 3 beleuchtet im grellen Neonlicht die fassadenharte Tagseite von Menschen der New Economy, während Vor langer Zeit im Mai ihre weiche Nachtseite in Schummerlicht taucht. Tagsüber wird gehauen und gekämpft, nach Feierabend darf auch geliebt und geküsst werden. Ob diese Klammer ausreicht, um ein stimmiges Gesamtbild auf der Bühne zu erzeugen? Formal jedenfalls hat Gosch die Verbindung schon hergestellt: Die Personen des ersten Stücks treten im zweiten alle noch einmal auf. Karin Liebe

Premiere: 29. November, 20 Uhr, Schauspielhaus