Recherchieren, um zu verstehen

Versuch einer Annäherung: „Die Todespiloten –Das Leben der Attentäter von New York“, 22.15 Uhr, ARD

„Er war ein guter Junge“, sagt Rosemarie Canel über ihren früheren Untermieter Ziad Jarrah. „Nein, war er nicht“, fügt sie hinzu, „wer so etwas tut, ist nicht gut. Nein, ist er nicht! Dann war er doch kein guter Junge, nein, das war er wohl nicht“, presst sie laut hervor. Die Hobbymalerin aus dem gediegenen Hamburger Stadtteil Hummelsbüttel sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, wie sie mit ihrer Zuneigung zu einem Menschen umgehen soll, der einen Massenmord begangen hat. Denn der „ausgesprochen nette“ Jarrah gehört zum Kreis der Terroristen, die das World Trade Center und das Pentagon in Schutt und Asche gelegt haben und so Tod über tausende von Menschen und Trauer in die Herzen von zehntausenden von Hinterbliebenen gebracht haben. Er selbst ist der einzige Todespilot, der sein Ziel verfehlt hat und in Pennsylvania abgestürzt ist.

Jarrahs Biografie und die seiner Mittäter Mohammed Atta und Marwan al-Shehhi stehen im Mittelpunkt der brandaktuellen Dokumentation, die erst gestern Früh vom NDR fertig gestellt wurde.

Acht Reporter aus verschiedenen Redaktionen haben sich acht Wochen lang auf die Spuren der drei Männer begeben, deren Taten am 11. September angeblich die Welt verändert haben. Sie befragten Freunde, Kollegen, Mitstudenten, staatliche Ermittler und die Familien der Attentäter. Wie konnte es zu diesen ungeheuerlichen Taten kommen? Wären sie zu verhindern gewesen? Das Reporterteam versuchte, den Weg dorthin zu rekonstruieren, und stieß dabei auf neue Erkenntnisse.

Ihre Recherchen ergaben, dass Mohammed Atta, der als Kopf der Hamburger Attentätergruppe gilt, schon 1999 für kurze Zeit im Visier deutscher Fahnder war. Nach der Verhaftung von Mamdouh Salim, dem mutmaßlichen Finanzchef Bin Ladens, in München, schnitt das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln bei Telefonüberwachungen mindestens ein Gespräch mit, in dem von Mohammed Atta die Rede war. Die Spur wurde nicht weiter verfolgt, und der Ägypter tauchte für die nächsten zwei Jahre unter.

In dieser Zeit bereitete der ehrgeizige Städtebau-Student wohl das Attentat vor, befreundete sich mit Marwan al-Shehhi, der ihm laut Zeugenaussagen wie ein „tapsiger Bär“ folgte und später in den zweiten Turm flog, und suchte Kontakt zu radikalen Organisationen.

Viele Fragen bleiben auch in dieser engagierten Bestandsaufnahme offen. Wer waren die Drahtzieher im Hintergrund, die Atta mit anderen jederzeit zu Selbstmord bereiten Terroristen zusammenbrachten? Wieso haben die abhörfreudigen Geheimdienstler von den Planungen nichts erfahren, obwohl es eine Reihe von Hinweisen gab? Wer sind die anderen Täter? Die Dokumentation bleibt eine Momentaufnahme und kann auch nichts anderes sein.

Angenehm hebt sie sich jedoch von sensationslüsternen und emotionalisierten Berichten ab, beschränkt sich auf Fakten und Aussagen von Zeitzeugen.

Deshalb fällt allerdings auch der politische Aspekt des Terroranschlags weitgehend unter den Tisch. Die Taten erscheinen überwiegend religiös bestimmt, was nur die halbe Wahrheit ist. Vom Kampf gegen die USA und Globalisierung, gegen Unterdrückung und Armut ist nur am Rande die Rede. Laut Aussage der Macher auch deshalb, weil sich Atta in der Öffentlichkeit wohl auch nie politisch radikal geäußert haben soll.

So entstanden drei sehr menschliche Porträts vor einem politischen Hintergrund. Ein Versuch, das Unglaubliche zu verstehen. JAN-RÜDIGER VOGLER