EINE NEUE ANTI-TERROR-ALLIANZ SIEHT DEN AL-QAIDA-CHEF BEREITS TOT
: Lasst Bin Laden leben!

Nicht mehr lange, und Terror-Chef Bin Laden befindet sich in den Händen der US-Amerikaner. Tot oder lebendig, ist jetzt die Frage. Aus politischen und rechtsstaatlichen Gründen ist „lebendig“ wünschenswert. Doch in der inoffiziellen Diskussion in Deutschland hat sich eine erstaunliche neue Anti-Terror-Allianz gebildet, diesmal aus Kriegsgegnern und -befürwortern: die der Totmacher.

Die eine Fraktion dieser Allianz kommt aus den Reihen der Kriegsgegner. Sie unterstellt, Bin Laden müsse sterben, denn die USA habe an einem Prozess kein Interesse, weil die Beweise gegen ihn nicht ausreichen würden. Ein unvergessener Einwand aus der frühen Phase der Kriegsvorbereitung, der nur gültig bleibt, wenn kein Prozess stattfindet. Diese Logik verweigert das Recht auf Verteidigung und die Öffentlichkeit von Beweis und Gegenbeweis. Sie betrachtet die Justiz als Marionette der Bush-Administration und würde nie eine Verurteilung Bin Ladens durch ein US-Gericht anerkennen. Außer es käme zu einem Freispruch, der erkennbar nicht im Interesse der USA liegt.

Die andere Fraktion der Totmacher stammt aus den Reihen erfolgstrunkener Bellizisten. Sie fürchtet jetzt, dass ein lebender Bin Laden in New York allerlei Befreiungsversuche provozieren würde. Das ist nicht meinungsstark, sondern ichschwach, denn ihre Botschaft lautet: Wer erpressbar ist, gibt dem auch nach. In dieser Logik sind politische Standhaftigkeit und demokratisches Selbstbewusstsein nicht vorgesehen.

Vereint sind beide Fraktionen wieder, wenn Al-Qaida-Zellen einen neuen Terroranschlag gegen die USA unternehmen. Beide werden ihn als Resultat der aktuellen Lage verstehen. Für die Kriegsgegner ist er die Vergeltung für den Krieg in Afghanistan – eine weitere Variante, die Opfer zu Tätern zu machen. Die Kriegsbefürworter sekundieren: Ohne Prozess hätte es auch keinen neuen Anschlag gegeben. Kein Wort davon, dass es der Existenzzweck von al-Qaida ist, so viele und so blutige Anschläge wie möglich zu unternehmen.

Hämisch, aber zutreffend ist die Ansicht, dass auch Bin Laden selbst den Krieg nicht überleben will. Ein Prozess nähme ihm den Märtyrertod – und der Ausweg, sich im Gefängnis selbst umzubringen, ist ihm als Muslim verboten. Wie seine Verurteilung zum Triumph über al-Qaida geriete, wäre Bin Ladens Jahrzehnte langes Leben hinter Mauern deren ultimative Schmach. DIETMAR BARTZ