Leben, Tod, Leben

Manche Seelen können bis zu 2.000 Körper durchlaufen, ob von Menschen oder Tieren: Eine Begegnung mit dem Reinkarnationsexperten Trutz Hardo und seinen Seminarteilnehmerinnen

von DANIEL WIESE

Ein Treppenhaus in Kreuzberg, eine rote Tür. Normalerweise finden hier Yogaseminare statt, aber heute geht es um Größeres. „Trutz Hardo: Rückführung in frühere Leben“, steht auf einem Zettel, von dem einen ein Mann mittleren Alters vielleicht ein wenig zu breit anlächelt. Trutz Hardo, verrät der Zettel, ist nicht irgendwer. „Trutz Hardo ist Schriftsteller, Autor, Psychologe und gilt als einer der wichtigsten Reinkarnationsexperten Deutschlands.“

Als Experte für Reinkarnationsfragen ist Trutz Hardo spätestens bekannt, seit er bei Margarete Schreinemakers vor laufender Kamera eine Rückführung vornahm. Schreinemakers, stellte sich heraus, lebte in einem früheren Leben als Bettlerin und musste vor lauter Hunger Tapeten essen. Ihr jetziger Mann war damals Richter und verurteilte sie wegen Diebstahls. Zumindest für sie selbst stellt Schreinemakers jetziges Leben eine deutliche Verbesserung dar.

Die rote Tür geht auf, Trutz Hardo kommt heraus, und in seinem Gesicht steht exakt dasselbe Lächeln wie auf dem Foto an der Tür. Hardo, groß gewachsen, fester Händedruck, trägt eine teure Lederjacke. Die Reinkarnation sei jetzt wissenschaftlich erwiesen, sagt er, von einem amerikanischen Psychiater. Der habe Berichte von Kindern untersucht, die sich an frühere Leben erinnern, und siehe, Namen, Orte, alles stimmte. Ein kleiner Junge ohne Bein war in einem früheren Leben unter einen Zug geraten; ein anderer mit einem verkrüppelten Ohr, um das seltsame Punkte angeordnet waren, hatte eine Schrotladung abbekommen.

Bei Kindern, die Sätze sagen wie „Als ich groß war“ oder „Ich will zu meiner anderen Familie“, ist darum Vorsicht geboten. „Denen ist erlaubt worden, die Erinnerung zu behalten“, sagt Trutz Hardo, und für den weniger erleuchteten Rest gibt es ja Rückführungsexperten wie ihn. 70 bis 80 Prozent der Seminarteilnehmer, schätzt er, kämen unter seiner Anleitung zu Erinnerungen. Zu diesem Zweck versetzt er sie in den so genannten Alpha-Zustand, ein Stadium zwischen Schlafen und Wachen, und führt sie entweder an die Himmelspforte oder an eine Wand mit Türen. Dann wird gezählt, und es erfolgt der Eintritt in ein früheres Leben.

„Trutz Hardo ist ein großer Meister“, sagt eine der Seminarteilnehmerinnen, die sich Claire nennt. Unter Hardos Führung hat Claire endgültig herausgefunden, dass sie ein tibetischer Mönch war. Sie erinnert sich an eine Flucht, an brennende Tempel. „Ich habe das sehr klar gesehen“, sagt Claire, die zum Umkreis des Dalai-Lama gehört haben muss. Eine Kugel, die ihm gegolten hatte, traf sie, weshalb sie „freudig gestorben“ sei. „Auch in diesem Leben habe ich den Dalai-Lama getroffen“, sagt Claire. Sie ist Mitte vierzig, Waldorfschullehrerin und sieht nicht so aus, als habe es das Leben immer gut mit ihr gemeint. Mit wem man sich versteht und mit wem nicht, sei kein Zufall, meint sie. So sei sie mit ihrem Exmann schon in einem früheren Leben zusammen gewesen. Ihr Exmann habe sie damals hinterrücks mit einem Beil ermordet. „Immer wenn ich in Extremsituationen komme, versteift sich mein Nacken“, sagt sie, „jetzt weiß ich auch, warum.“

Nicht alle Seminarteilnehmerinnen sind so auskunftsbereit wie Claire. „Ich bin gerade nicht ansprechbar“, sagt eine junge Frau mit dunklen Haaren, die in ihrem letzten Leben wohl irgendwo in Berlin gelebt hat, aber ganz klar ist ihr das noch nicht. Andere haben noch gar keine Visionen gehabt, oder sie können mit ihren Visionen nichts anfangen. „Ich kann das noch nicht umsetzen“, sagt Sonja. Man hat bei ihr Brustkrebs diagnostiziert, aber sie wollte sich nicht operieren lassen. „Ich gebe meine Brüste nicht her“, sagt Sonja und lacht auf. In einem früheren Leben, denkt sie, war sie vielleicht ein Mann, der die Brüste seiner Frau geliebt hat. Demnächst macht sie bei Hardo eine Einzelsitzung.

„Ich habe viel erlebt“, sagt Hardo, der 130 Inkarnationen hinter sich haben will. Das Spektrum der Möglichkeiten ist groß. Ungefähr die Hälfte derer, die zu ihm kommen, war nicht immer ein Mensch. „Viele waren Vierbeiner, aber auch Kriechtiere, Schalentiere oder Insekten.“ Andere wiederum kommen von fremden Gestirnen oder „Dimensionen“. Wie viele Körper eine Seele durchläuft, hängt von ihr selbst ab. Hardo hat sich nun mal auf 130 festgelegt. Anderen Seelen reichen ein, zwei Inkarnationen, es können aber auch 2.000 sein.

Auch in seinem jetzigen Leben hieß Hardo nicht immer Hardo. Unter einem anderen Namen war er Lehrer, bis er ein „besonderes Erlebnis“ hatte, über das er lieber schweigt. „Und dann hat sich in Amerika eine Brücke vergoldet“, sagt er wie nebenbei. Die Brücke führte über keinen Fluss, sondern war in seinem Mund, aber es geschah auch nicht beim Zahnarzt. Es geschah in einer Kirche. Es war ein Wunder. „Das war für mich eine große Bestätigung“, sagt Hardo. Seine Stimme klingt jetzt sehr sanft, und in seinem Gesicht steht wieder dieses Lächeln, das vielleicht etwas zu breit ist.