Handys sind lesbisch

Buch und Film im Zeise: Katrin Kremmler untersucht in ihrem Krimi „Blaubarts Handy“ Kommunikationsformen  ■ Von Doro Wiese

In Blaubarts Handy biegt die Heldin nicht in irgendeine Straße ein. Auch sieht sie das Verbrechen und seine Opfer nicht. Diesmal hört die Heldin das Verbrechen, mithilfe eines kleinen, tragbaren Utensils. Sie braucht keine Geheimagentin zu sein, um privaten Gesprächen zu lauschen. Denn im Zeitalter von Handys ist die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem längst aufgehoben. Die Stimme kann übermittelt werden, wo immer man ist. Zu Hause und in der U-Bahn. In der Shopping Mall, bei der Geliebten. Oder bei einem Fick.

Katrin Kremmlers Heldin heißt Gabi und wohnt in Budapest. Dort schreibt sie ihre Dissertation über subversive Kommunikationsformen. Beforschtes Umfeld: Die Budapester Lesbenszene. Für ungarische Lesben ist das Handy überlebenswichtig. Während es einerseits Erreichbarkeit garantiert, ist es andererseits nicht ortsgebunden. So können Frauen, die im postsozialis-tischen Ungarn leben, eine Doppelidentität aufrechterhalten. Wer an Geldnöten leidet und bei seinen Eltern lebt, wer verheiratet ist, aber trotzdem lesbisch lebt – das Handy erlaubt den Kontakt mit Gleichgesinnten. Wenn das Coming-out nicht möglich ist, wird auf unüberprüfbare Formen der Kommunikation zurückgegriffen.

Handys dienen der Geheimhaltung. Man ist allerdings auch, wie bei jeder Kommunikation, auf die Ehrlichkeit des Gegenübers angewiesen. Weil aber gesprochen und erzählt wird, rutscht ein Rest rekonstruierbarer Wirklichkeit in das Gespräch hinein. Und kann in Konkurrenz mit anderen Formen der Realitätskonstruktion geraten.

In Blaubarts Handy ist die Heldin Gabi unterwegs. Sie trifft sich mit ihren lesbischen Freundinnen, arbeitet in einer amerikanischen Firma und fährt mit der S-Bahn durch Budapester Wohnbezirke. Wen sie trifft, gibt etwas von sich preis und verdeckt andere Aspekte. Aber das Verschweigen verhindert nicht die Weitergabe von Informationen. Ununterbrochen wird die Kluft des Ungesagten mit Klatsch und Tratsch gefüllt. Beobachtetes und Aufgeschnapptes wird fortwährend ausgetauscht; die Neugier hält sich keineswegs an das Offensichtliche. Hinter dem eigenen Rücken zirkuliert ein anderes Wissen, werden Lücken geschlossen. So gewinnen Personen eine Vergangenheit, die sie verdecken wollen, werden Kreise zwischen Informationen geschlossen.

Durch die Schaltkreise des Klatsches wird Anonymität verhindert. Wer unerkannt bleiben will, darf niemanden kennen – weil auf dem Arbeitsplatz, in der Kneipe, durch Liebschaften und Formen der Geselligkeit immer andere, eigensinnige Wahrnehmungen entstehen. Diese werden ausgetauscht und weitergegeben. In Blaubarts Handy werden per Telefon übermittelte Informationen ständig durch andere Gespräche angereichert, so dass niemand im Unbekannten und als UnbekannteR operiert. Was als schwer identifizierbare, unverortbare Kommunikation begann, wird durch die Kanäle eines anderen Wissens fortgeführt und verhindert das perfekte Geheimnis.

Wer einen Mord begeht, will seine Identität nicht aufdecken. Wenn Heldin Gabi mithilfe eines angeschalteten Handys Zeugin des Verbrechens wird, muss sie Bruchstü-cke zusammenfügen. Als Zeugnis des Mörders hat sie zunächst nur eine Stimme, die aber im Schaltkreis der sozialen Realität vorzufinden ist. In der mitgeteilten Realität ihrer FreundInnen verknüpfen sich Aussagen, Beobachtungen und Informationen miteinander und erzeugen neue Bilder der Geschehnisse. Obwohl ungarische Lesben und Schwule oftmals ihre sexuelle Präferenz im Geheimen lassen, tauschen sie sich untereinander aus. So entsteht ein Kommunikationsnetzwerk, das die Situation von GefährtInnen begleitet. Aufgedeckt wird dadurch mancherlei, das sich unsichtbar im Privaten entfaltet – beispielsweise Formen der Gewalt, die durch zugewiesene Anonymität entstehen.

 Sonnabendnachmittag liest Kat-rin Kremmler aus ihrem Krimi. Dazu zeigt sie ihr Coming-out-Story-Video What's 1 Young Lesbian Supposed to Do in the Big City? A Beginner's Guide.

Sonnabend, 15 Uhr, Zeise

Katrin Kremmler: Blaubarts Handy. Argument Verlag, Hamburg 2001, 19,36 Mark