Atta war einer von uns

Das Medienecho nach den Terroranschlägen und Schilys Sicherheitspakete zeigen: Der Einwanderer bleibt stets heimatlos. Integriert er sich, dann ist er erst recht verdächtig

Nicht nur Muslime sind mangelnd säkularisiert: Die Kirchen genießen erstaunliche Privilegien

Kaum hatte sich die Bundesrepublik dazu entschlossen, doch noch Einwanderungsland zu werden, da machte der „Schläfer“ urplötzlich die Stimmung wieder zunichte. Seitdem sind „Ausländer“ mal wieder vorrangig ein Thema für die Innere Sicherheit – es wird verboten, beobachtet und gerastert, was das Zeug hält. Gesucht wird der gefährliche Fremde in der „Tarnkappe des braven Bürgers“, wie Focus über Mohammed Atta schrieb. Aber war die Republik nicht längst auf Typen wie ihn vorbereitet? Zwar führen die Politiker unentwegt das Wörtchen Integration im Munde, doch im Grunde glaubt die Mehrheit der Deutschen weiterhin fest daran, dass kulturelle Prägungen ewig nachwirken. Die Integration kann daher nichts weiter als eine tückische Maske sein – dahinter verbirgt sich, so der Spiegel über Atta, ein „gehetzter, heimatloser Mann“, bei dem rückblickend alles aufgesetzt und übertrieben erscheint: Er „sah stets feiner aus als die westlichen Studenten“ und, noch schlimmer, er „lebte gesünder“. Als sich schließlich „erste Lücken“ in der Biografie zeigen, ist es nicht mehr weit bis zum „menschlichen Roboter, der auf Kommando explodiert“.

Heimatlosigkeit führt quasi direkt in die Kriminalität – solche Zusammenhänge werden auch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund vermutet, die angeblich „zwischen zwei Kulturen“ aufwachsen. Um sich dagegen zu wehren, dass die eigene Situation nur als defizitär wahrgenommen wird, haben viele von ihnen stets behauptet, sie hätten beide Kulturen. Doch seit dem 11. September ist auch das ein Problem. Über Siad Dscharrah, einen anderen mutmaßlichen Attentäter, schrieb der Spiegel, dieser sei das „Musterexemplar jener Sorte junger Zuwanderer“ gewesen, „die spielend zwei Kulturen vereinbaren können“. Offenbar ist jede Form möglicher Integration verdächtig – um die Ecke lugt nämlich stets „der Muslim“. Drei Millionen gibt es allein in Deutschland, doch in Gesprächen wird schnell im Weltmaßstab verhandelt: 1,3 Milliarden. Was diese Muslime miteinander gemein haben, bleibt im Dunkeln. Fällt nicht die ununterbrochene Beschwörung einer „islamischen Welt“, in der es weder politische noch religiöse Differenzen zu geben scheint, auf das homogenisierende Weltbild der Islamisten herein? Tatsächlich ist es erstaunlich, dass nun eine ganze Gruppe von Menschen in der Gesellschaft in erster Linie durch ihre Religionszugehörigkeit definiert wird. Hinter dem kräftigen Begriff Muslim verblassen alle anderen Charakteristika: Diese Personen werden nicht mehr als Bürger angesprochen, nicht einmal mehr als „Mitbürger“, nicht als Studenten oder Arbeiter, nicht als rechts oder links, nicht als Schiiten oder Aleviten – nein, sie erscheinen vor allem als Muslime.

Indessen führt jede gut sortierte Buchhandlung den Koran und Werke über den Islam. Illustrierte wie der Stern oder Focus bieten ihren Lesern Reportagen mit Titeln wie „Weltmacht Islam“ oder „Geheimnis Islam“, die vor allem durch ihre Bildersprache wirken: Es handelt sich um eine Mischung aus Symbolen (Massenaufläufe von wütenden Männern, verschleierte Frauen, Feuer in verschiedenen Varianten) sowie historischen Zeichnungen und Karten. Als Problem Nummer eins „der Muslime“ erscheint deren mangelnde Säkularisierung. Fachleute wie Wilhelm Heitmeyer bezeichnen ihr Verhältnis zum säkularen Rechtsstaat als prekär und sprechen von einer „Rückkehr der Tradition“. Ex-Staatsminister Michael Naumann stellte sogar die Säkularisierung der gesamten 1,3 Milliarden in Frage – da fragt der Stern wohl ganz zu Recht: „Ist ihre Religion für uns gefährlich?“

Tatsächlich kann man feststellen, dass im Bild des bedrohlichen Gesamtmuslims ganz andere Traditionen fortwirken – nämlich jene des völkischen deutschen Staatsverständnisses. Zum einen lässt die deutsche Konzeption vom Staatsangehörigen als Mitglied einer Blutsgemeinschaft für Einwanderer noch immer nur zwei Aggregatzustände zu: Entweder angepasst bis zur Unsichtbarkeit oder völlig sichtbar „fremd“. Dabei wird unwillkürlich angenommen – das zeigt der Diskurs über die „Schläfer“ nur zu deutlich – dass die Integration nur äußerlich bleibt: Richtiger Deutscher kann man ja nicht werden, der Einwanderer bleibt stets „heimatlos“. Und damit auch: verdächtig. Zum zweiten lässt sich an der ganzen Konzentration auf den Islam ablesen, dass eine Barriere zwischen „uns“ und „ihnen“ konstruiert wird – und zwar auf dem Feld der Kultur: Schwierigkeiten ergeben sich angeblich aus quasi natürlichen kulturellen Unterschieden. Eigentlich steckt doch alles „im Blut“: im besten Fall ist es die Gastfreundschaft oder der Rhythmus, im schlimmsten der Fanatismus.

Die Konsequenz aus diesen Annahmen ist erfreulich: Alles Böse kommt von außen. Das hat sich damals in der Abschiebung des 14-jährigen „Mehmet“ – eines kriminellen Jugendlichen „zwischen zwei Kulturen“ – ebenso geäußert wie jetzt im Wunsch nach der Abschiebung des Islamisten Metin Kaplan. Doch die Boulevardpresse hat den Sektenführer nicht umsonst als „Kalifen von Köln“ bezeichnet – das Problem ist hausgemacht. Vielleicht wird mir nun vorgeworfen, dass ich wieder mal alles der einheimischen Gesellschaft in die Schuhe schiebe und die Gefahr des Islamismus beschönige. Doch gerade der Islamismus ist ohne seinen politischen Kontext nicht zu verstehen. Vereinigungen wie „Milli Görus“ würde es in Deutschland nicht geben, wenn eine liberalere Staatsbürgerschaftsregelung es den Einwanderern ermöglicht hätte, sich politisch auf die Bundesrepublik zu beziehen. Doch die Behörden haben es vorgezogen, Migranten weiter als „Ausländer“ zu betrachten – und so ließen sie es wohlwollend zu, dass sich türkische Organisationen um ihre angeblichen „Landsleute“ kümmerten. Mit Tradition hat das überhaupt nichts zu tun. Mit mangelnder Säkularisierung möglicherweise – aber auch der einheimischen Gesellschaft: Gerade islamistische Organisationen nehmen sich ja ein Beispiel an den Kirchen, die hier zu Lande erstaunliche Privilegien genießen.

Atta war die dunkle Variante der „Neuen Mitte“: beweglich, wurzellos, mit Bastelbiografie

Sicherheitsprobleme lassen sich daher keineswegs durch das verstärkte Datensammeln oder das Rastern von Einwanderern lösen, sondern nur durch die weitere Öffnung der Gesellschaft in Richtung auf staatsbürgerliche und wirtschaftliche Gleichheit von Migranten. Die kulturellen Ausdrucksformen werden hier zu sehr als ein isoliertes Phänomen betrachtet – dabei sind sie allemal in den gesamten gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Letztlich war sogar Mohammed Atta kein Fremdkörper „mitten unter uns“. Das Bild der Medien ist verräterisch und zeigt einen Doppelgänger. In den Beschreibungen wirkt er wie eine dunkle Version des Leitbildes der „Neuen Mitte“: Ein beweglicher, wurzelloser Einzelkämpfer mit Bastelbiografie. Insofern kommen wir den Problemen einer globalisierten Welt in jeder Beziehung näher, wenn wir uns der zweifelsohne schrecklichen Erkenntnis stellen: Atta war einer von uns. MARK TERKESSIDIS