Keine Kommapausen

Rauchig: Peter Wawerzinek lockte Judith Hermann zu einer Lesung ins Café Falkmann

Judith Hermann wirkt ein bisschen genervt. „Bitte, Peter“, sagt sie, „ich schaffe es einfach nicht, darauf zu antworten.“ Nun ist es nicht so, dass Peter Wawerzinek eine knifflige Frage gestellt hätte. Ist doch erlaubt, nach den Lieblingsfilmen zu fragen. Eigentlich ist es aber auch egal, ob Judith Hermann darauf nun antwortet oder nicht. Denn Peter redet sowieso die ganze Zeit, vor der Lesung und nach der Lesung von Judith Hermann im Café Falkmann im Prenzlauer Berg.

Nur als Hermann einen ihrer Lieblingstexte von Truman Capote vorliest, aus „Die Grasharfe“, sitzt Peter müde daneben und bekommt ein rotes Gesicht. Der Raum ist quadratisch und füllt sich mit etwa fünfzig Personen. Von den anderen Räumen dringen Kneipengeräusche herein. Die meisten Zuhörer sind zwischen dreißig und vierzig und trinken Bier oder Rotwein. Ein Baby trinkt Milch und hält sich wacker. Wofür ihm Peter am Schluss dankt.

Dass Judith Hermann keinen eigenen Text vorliest, liegt an den Vorgaben dieser Lesung. Die Veranstaltungsreihe „Lockung“, die der Autor und Lokalheld Peter Wawerzinek seit kurzem im Café Falkmann präsentiert, sieht vor, dass seine Freunde aus ihren Lieblings- oder Hassbüchern vortragen. An der weißen Wand hinter dem Lesepult haben sich Judith Hermanns Vorgänger schon mit schwarzem Edding verewigt: Thomas Kapielski, Katja Lange-Müller oder Corinna Harfouch.

„Für mich war sofort klar, dass ich keine Hassbücher vorlesen kann“, sagt Judith Hermann, bevor sie anfängt. Deshalb also ein Lieblingsbuch. Allerdings habe sie es vor zehn Jahren das letzte Mal gelesen und sei jetzt aufgeregt, ob denn verstanden werde, warum sie diesen Text einmal so geliebt habe. Das sei schließlich eine andere Zeit gewesen.

Sie trägt ein schwarzes Hemd, einen braunen oder lila Rock und hohe, braune Lederstiefel mit Absatz. Sie sieht ein bisschen müde aus und hat anfangs eine Zigarette im Mund, hält die knapp eine Stunde lange Lesung dann aber ohne durch. Sie liest souverän, ein wenig schnell und ohne große Kommapausen, ihre sonore und etwas rauchige Stimme ist ausdrucksstark.

Peter findet auch, dass sie gut gelesen habe, und lobt sie für ihre wenigen Versprecher. Und das bei einem fremden Text! Alle Achtung. Judith lächelt und steckt sich eine Zigarette an. Dann schimpft Peter noch über die Telefonzellen, die jetzt ja Masten seien. Judith beugt sich zum Mikro, schaut ihn an und sagt: „Danke, Peter.“

Die kleine Fragestunde, die Peter schließlich noch anzuleiern versucht, geht aber irgendwie daneben. Kaum Fragen, alle gucken nur. So redet Peter Wawerzinek halt. Meine Stuhlnachbarin sagt ab und zu: „Mein Gott, was quatscht der so.“ Nur einmal wird es noch spannend, als er von einem Gerücht spricht, das kursiere: Sie habe momentan eine Schreibkrise. Judith Hermann sagt dazu nur, nein, sie kenne das Gerücht nicht. Dann lächelt sie mit geschlossenem Mund und ihre Augen glitzern. Wir müssen also noch weiter warten. JÖRG PETRASCH