Das Recht zum Gelddrucken

Nach deutschem Recht sind Programme für Computer nicht patentierbar. Aber deutsche Richter fanden schon einen Ausweg, und die Lobby der Informationsbranche versucht unermüdlich, auch noch den letzten Mausklick unter Patentschutz zu stellen

von ERIK MÖLLER

Eigentlich sollte Patentschutz der Innovation dienen. Als König Heinrich VI. 1449 einem flämischen Glasmacher das Recht einräumte, seine Produkte exklusiv auf englischem Boden zu vermarkten, musste der Erfinder im Gegenzug versprechen, seine Geheimnisse einer neuen Generation von aufstrebenden Glasmachern zu verraten. Damit war das Patentwesen geboren, das schon bald darauf in mannigfaltiger Form missbraucht wurde, zum Beispiel für den Erhalt von Salz-, Eisen- und Pfeffermonopolen, mit denen die Staatskasse gefüllt wurde.

Mit dem Beginn der technischen Gesellschaft wurde die Aufgabe des Patentprüfers immer wichtiger, der Richtiges von Falschem zu trennen hatte. Der amerikanische Kybernetiker Norbert Wiener meinte, das Patentwesen habe schon im 19. Jahrhundert nicht mehr mit der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts mitgehalten. Entscheidend wurden allein die Eloquenz der Patentschrift und die finanziellen Polster des Antragstellers.

Was Wiener wohl zu Patenten auf Mausklicks und Geschäftsausschreibungen gesagt hätte? Risikokapitalgeber und Großunternehmen setzen sich für immer stärkeren Schutz von Patenten in allen Bereichen ein. Dazu gehören neben „Patenten auf Leben“ auch Computerprogramme. Urheberrechtlich geschützt sind diese ohnehin, die Unternehmen wollen aber auch noch das durch Patente garantierte Monopol auf die dahinter stehende Idee erwerben. In den USA ist das schon seit 1994 möglich, Patente für Geschäftsmethoden kamen 1998 hinzu. Durch Softwarepatente wurde der Monopolschutz von Client/Server-Datenbanken möglich (US-Patent 4.714.989), von Farbhervorhebungen in Texteditoren (4.965.765), von Kalendern mit Balkengrafiken (5.247.438), von Formeleditoren für Textverarbeitungen (5.122.953) und von Matrizenverknüpfung in Tabellenkalkulationen (5.272.628). Dabei handelt es sich um schon seit Jahren oder Jahrzehnten angewandte Methoden. Die Patente erlauben es ihren Inhabern dennoch, Dritten die Implementierung dieser Methoden zu verbieten. Die Betroffenen haben nur die Möglichkeit, über ein Gerichtsverfahren eine Annullierung des Patents anzustreben, meist über mehrere Instanzen.

In Europa wollte man diesen Zug nicht verpassen: Der amerikanische Investitionsschutz passte gut zu den aufstrebenden Internetunternehmen. Im deutschen Patentgesetz heißt es aber: „Als Erfindungen werden [. . .] Programme für Datenverarbeitungsanlagen nicht angesehen.“ Doch die Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe fanden einen Ausweg: Mit ihrer Entscheidung zur „Sprachanalyseeinrichtung“ vom Mai 2000 erklärten sie Software dann für patentierbar, wenn sie – man höre und staune – auf einem Computer läuft. Maßgeblich dafür sei allein der „Technizitätsbegriff“, wie die juridische Formulierung lautet.

Doch diese Lösung war den Patentadvokaten dann doch etwas peinlich: „In den letzten Jahren hat das Europäische Patentamt gegen den Buchstaben und den Geist der geltenden Gesetze etwa 30.000 Patente für computerimplementierbare Organisations- und Rechenregeln (Programme für Datenverarbeitungsanlagen) erteilt. Nun möchte Europas Patentbewegung diese Patente nachträglich legalisieren und zugleich alle wirksamen Begrenzungen der Patentierbarkeit aufheben“, befürchtet der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) auf seiner Website (www.ffii.org): „Programmierer sollen sich nicht mehr frei ausdrücken und nicht mehr frei über ihre eigenen Werke verfügen dürfen. Bürger sollen ihre Kommunikationsformen nicht mehr selbst gestalten dürfen. Als Entschädigung für diese geistige Enteignung winkt uns allen – weniger Innovation, weniger Kompatibilität, weniger gute Software.“

Bremse für Erfinder

Tatsächlich brodelt es in Europa: Soll der Patentschutz für Software nun offiziell erlaubt oder eingeschränkt werden? Auf der einen Seite steht die mächtige und erfahrene Lobby von Patentanwälten, Investoren und, in begrenztem Maße, Großunternehmen, auf der anderen steht neben ein paar kleinen und mittelständischen Unternehmen nur die Open-Source-Community. Das sind vor allem die Freunde des Linux-Projekts. Die Linux-Idee ist simpel: Wenn jeder den Code eines Programms verändern kann (der bei Windows streng geheim ist), werden sich immer clevere Hacker finden, die in der Lage sind, das Gesamtprogramm weiterzuentwickeln.

In einigen Bereichen hat Linux längst das Nischendasein überwunden, insbesondere bei Serveranwendungen: 30 Prozent aller Webserver laufen mit dem Hacker-Betriebssystem. Der Megakonzern IBM hat sich entschlossen, Linux mit einer Milliarde Doller zu fördern, und setzt das offene Paket für riesige Rechenanlagen von hunderten miteinander verschalteten Computern in der Seismologie und Nuklearforschung ein. Selbst die New Yorker Börse verwendet mittlerweile Linux für ihre E-Mails. Für Privatanwender gibt es sogar kostenlose, offene Bürosoftware, die ähnlich funktioniert wie Microsofts Office-Paket, aber auch Malprogramme, Datenbanken, MP3-Player und vieles mehr – nahezu alles, was man auch unter Windows findet, aber überwiegend kostenlos, von Freiwilligen entwickelt oder von Firmen finanziert.

So entsteht nach und nach ein riesiges Softwarearchiv als „öffentliches Gut“, das von jedem benutzt werden kann. Damit eröffnet Linux auch armen Ländern neue Chancen, Anschluss zu finden. Aber die genannten Patente bedrohen auch die freien Entwickler: Ganz gleich ob sie ihre Ideen unabhängig haben, egal ob sie die Programme kostenlos und im Quellcode weitergeben – wenn jemand ein Patent auf einen verwendeten Mechanismus hat, müssen sie zahlen. Das ist natürlich bei Programmen nicht möglich, die kostenlos weitergegeben und ohne kommerzielle Motive entwickelt werden. Open-Source-Entwickler fordern deshalb ein so genanntes Quelltextprivileg: Wer freie Software entwickelt, soll von Patentverletzungen freigesprochen werden. Doch obwohl sie eine Petition mit mehr als 80.000 Unterzeichnern eingereicht haben, sind die Patentgegner in der „ökonomischen Minderheit“, wie eine von der EU in Auftrag gegebene Studie der öffentlichen Meinung feststellte. Ob die Bedenken der Open-Source-Gemeinde, die von einigen Unternehmen geteilt werden, Niederschlag in der EU-Patentrichtlinie finden werden, muss bezweifelt werden, solange außer ein paar Hackern niemand sich zu Wort meldet. Die Petition kann man übrigens unter petition.eurolinux.org nach wie vor unterzeichnen.

Teurer Mausklick

In den USA indes ist bereits seit 1980 durch den Obersten Gerichtshof geregelt, dass „alles unter der Sonne vom Menschen Erschaffene“ patentierbar ist. Nachdem 1994 Software zu diesen Dingen gezählt wurde, folgten 1998 Geschäftsmethoden. Dazu gehört etwa das Einkaufen im Internet per Mausklick, wofür der Onlinehändler Amazon ein Patent hält. Die Firma Priceline dagegen sicherte sich ein Patent für „Reverse Auctions“, zu Deutsch auch Ausschreibungen genannt. Der Optionsscheinhandel für Flugtickets ist ebenso patentiert wie der nächste Napster-Nachfolger. Aber neben Gnutella muss auch Nutella aufpassen: Reuters vermeldete im Januar Patent Nr. 6.004.596. Der Gegenstand: Erdnussbuttersandwiches mit Marmelade.

moeller@scireview.de