Rauchbomben im Nebel des Krieges

Aufklärung durch Katharsis: Die Filmreihe „Ausweitung der Kampfzone“ im Eiszeit-Kino widmet sich der sinnlich-medialen Wahrnehmung des Terrors – oder dem, was wir dafür halten. Eine Sammlung dokumentarischer Verwirrspiele über Propaganda, Verschwörung und die Wirkung der Bilder

Auch der 11. September hatte seine Vorläufer. Man stellt Vergleiche an, ohne es zu wollen

von PHILIPP BÜHLER

Krieg und Kino, Terror und Krieg, Schlacht der Bilder, Medienterror: Es wird allerhand zusammengeschmissen in diesen Tagen, was auch nur irgendwie zusammengehört. Die Grenze zwischen Kinobild und Fernsehbild verschwimmt, und Hollywood-Regisseure beraten mit neuen Szenarien ein ratloses Pentagon. Denn nichts Genaues sieht man nicht. Selbst der für solche Sachen eigentlich zuständige Philosoph Paul Virilio spricht in dieser Zeitung lieber von Krieg als von seinen Bildern: Er meint, wir befänden uns „im Nebel des Krieges“.

Das Eiszeit-Kino will nun den Nebel ein wenig lichten und wirft zu diesem Zweck eine kleine Rauchbombe. Das Ziel: Aufklärung durch Katharsis. Die sehr heterogene Filmreihe „Die Ausweitung der Kampfzone“ deliriert, zuweilen sehr prägnant, über die sinnliche Wahrnehmung des Terrors oder das, was wir dafür halten. Denn es ist ja so: Was für den einen ein Terrorist ist, ist für den anderen ein Flugzeugentführer.

Herzstück der Reihe ist die TV-Collage „DIAL H-I-S-T-O-R-Y“, eine packende Geschichte des Hijackings von seinen Anfängen in den 60ern bis heute. Die lustvolle Aneinanderreihung von Zerstörungsbildern und Propaganda verrät die Liebe zum Punk, zwingt aber auch den Zuschauer zum Flirt mit dem Desaster. Es ist eben mehr als Zeitkolorit, wenn zu munterer Diskomusik Blutlachen aufgekehrt werden. That’s Entertainment.

Erhellend auch, was Johan Grimonprez, documenta-Liebling von 1997, zur aktuellen Diskussion beiträgt. Zitate des Verschwörungsautors Don DeLillo aus „White Noise“ und „Mao II“ sprechen vom „Nullsummenspiel“ zwischen Terroristen und Schreibern: „Wenn die Terroristen gewinnen, verlieren die Schriftsteller.“ Da hat der alte Rauner recht. Aber auf lange Sicht scheinen beide zu verlieren.

So hat der 11. September längst vergessene Vorläufer. Ein Kugelschreiber und ein Metallkamm genügten einem Puertoricaner, um ein Flugzeug nach Kuba zu lenken. An einem palästinensischen „Entführungssonntag“ wurden fünf Maschinen gleichzeitig gekapert. Man will nicht vergleichen und tut es doch. Dereinst werden die Bilder aus New York für den „neutralen“ Geschichtsbetrachter eben das sein: Bilder, von der Erinnerung abgelöste Clips. Dass der Terror daran nichts ändert, ist in diesem maßvoll verstörenden Film so erschreckend wie tröstlich. Auf jeden Fall weiß man nach einer guten Stunde „DIAL H-I-S-T-O-R-Y“ mehr über die Wirkungsweise dieser Bilder als nach sechs Wochen CNN.

Einen je nach Anschauung konkreteren oder gänzlich metaphysischen Bezug zum aktuellen Geschehen haben die anderen Filme der Reihe. Drei verschiedene Dokumentarfilme mit Titeln „The Other War“, „A Just War?“ und „The Dirty War“ behandeln die Folgen des Golfkriegs. „Die Konsensfabrik“ über Noam Chomsky und die Medien ist aus offensichtlichen Gründen dabei; außerdem ein demnächst anlaufender Dokumentarfilm über den Bin Laden des Literaturbetriebs: „Thomas Pynchon. A journey into the mind of P.“ sucht nach den Aufenthaltsorten des großen Verschwinders.

Wer nach all dem meint, klar zu sehen, kann sich am Sonntag wieder anständig verwirren lassen. Dann hält Matthias Bröckers einen verschwörerischen Vortrag mit Lichtprojektion über die „WTC Conspiracy“. Was der über die Zusammenhänge von CIA und Taliban zu sagen hat, dürfen wir hier nicht verraten.

Und wo die Kampfzone schon derart ausgeweitet ist, darf auch Philippe Harels Houellebecq-Verfilmung nicht fehlen, die hier seit zwei Jahren keinen Verleih findet. Misogynie, Depression, Mordlust – hier sind Krieg, Kampf und Terror endgültig nur noch Metaphern für das, woraus der reale Krieg vielleicht entsteht.

Die Reihe „Ausweitung der Kampfzone“ ist vom 8. bis 21. November zu sehen im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 5, Kreuzberg Die genauen Termine sind dem taz-filmplan am Donnerstag zu entnehmen