Bilder aus dem Holzbein

■ Zeitdokumente aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern

Bis zum 9. April 1945 sammelte Klaus Sasse Informationen für die deutsche Wehrmacht. Dann geriet der Leutnant in die Gefangenschaft der Roten Armee, konnte aber seine kleine „Minox“ bei allen Filzungen verbergen. Statt dem „Endsieg“ widmete er sich fortan der Dokumentation der sowjetischen Kriegsgefangenenlager. Die nachrichtendienstliche Tätigkeit für den Führer tauschte Sasse mit dem Fotografieren der deutschen Gefangenen – im eigenen Auftrag.

Auf abenteuerlichen Wegen gelangten die belichteten Filme nach Deutschland: versteckt in der Beinprothese eines heimkehrenden Soldaten. Jetzt werden die Fotografien in einer Ausstellung des Deutschen Volksbundes Kriegsgräberfürsorge in der Bremischen Bürgerschaft gezeigt. Christian Weber sprach bei der Eröffnung als Präsident der Bürgerschaft vom „Schrecken und der Sinnlosigkeit des Krieges“. Nicht „Aufrechnung und Anklage“ sondern „Versöhnung und Mahnung zu einem friedlichenMiteinander“ lautet das Motto der Ausstellung.

Laute Töne waren auf der Eröffnung also nicht zu hören. Vor den Fotografien, die den Alltag der deutschen Soldaten in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern zeigen, wurden leise und bedächtig Erinnerungen ausgetauscht. Die meisten Besucher der Eröffnung von „Kennst Du Jelabuga“ waren selbst in sowjetischen Lagern interniert. Dass die Porträts der kurz geschorenen und ausgezehrten Lagerinsassen die Menschen zeigen könnten, die an diesem Abend hier sind, ist nur ihren Gesprächen zu entnehmen: „Kennst du die Baracke noch?“, fragt ein ehemaliger Gefangener den alten Mann neben ihm und zeigt auf ein Foto. Nur wenige Jüngere waren gekommen. Was sie bisher nur aus Erzählungen kannten, wurde ihnen jetzt gezeigt: „Wie die Pferde haben wir das Holz aus dem Wald gezogen“, erfährt ein Enkel von seinem Großvater, der „41 von den Russen abgeschossen“, worden war.

Die Fotografien von Klaus Sasse aus dem Gefangenenlager Jelabuga, 960 Kilometer östlich von Moskau, zeigen den Lageralltag: den Versuch eines Gefangenen, sich mit einer Brille als Brennglas eine Zigarette anzuzünden, eine Theateraufführung der Lagerinsassen und immer wieder Arbeitseinsätze. Zwei Jahre lang fotografierte Sasse Ende der vierziger Jahre heimlich – ständig in Gefahr, entdeckt zu werden. Denn der Besitz einer Kamera war den Gefangenen verboten. Nicht zuletzt deswegen wirken die seltenen Aufnahmen authentisch. Sie entstanden im Vorbeigehen. Für die Wahl der Kameraposition, des Ausschnitts oder für Inszenierungen gab es keine Gelegenheit. Die Bilder ähneln dadurch den Dokumentationen des Zweiten Weltkriegs, obwohl der Krieg bereits vorbei war.

Die 80 Fotografien werden durch einige Requisiten aus dem Lager Jelabuga ergänzt, in dem auch der Schriftsteller Otfried Preußler interniert war: selbst gebasteltes hölzernes Essgeschirr, Messer und eng beschriebene Büchlein, in denen die Gefangenen eigene Gedichte oder Aphorismen von Schopenhauer und anderen deutschen Geis-tern notierten.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge will jeden revanchistischen Beiklang in seiner Wanderausstellung vermeiden. Um den historischen Rahmen zu betonen, wurden der Dokumentation vier Porträts von russischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern hinzugefügt. Peter Ringel

Bis zum 22. Novembein der Bürgerschaft. Geöffnet Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr