„Das ist einer Demokratie unwürdig“

Christian Führer, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, über die aktuellen Montagsdemonstrationen, über Gewalt, die immer nur Gegengewalt erzeugt, und die Haltung der Bundesregierung zum Krieg der USA gegen Afghanistan

taz: Montagsdemonstrationen und Friedensgebete in der Nikolaikirche – das erinnert an 1989.

Christian Führer: Die Friedensgebete gibt es schon länger, sie haben mit der ersten Friedensdekade 1981 begonnen.

Also sind die jetzigen Friedensgebete keine direkte Reaktion auf den 11. September?

Nein, aber schon am Abend des 11. September haben die Leute hier angerufen, um zu fragen, was sie machen sollen, schließlich ist die Nikolaikirche ein bekannter Ort. Da haben wir spontan beschlossen, am Mittwoch morgen ein Friedensgebet zu halten, da waren 2.000 Leute hier. Auch die Friedensgebete am Montag sind gut besucht.

Was sind das für Menschen, die zu Ihnen kommen?

Es ist verrückt, aber das sind oft Nichtchristen, die bewusst die Kirche aufsuchen. Was mich freut, ist, dass mich als Pfarrer Nichtchristen bitten, mir zu überlegen, was machen wir und wie machen wir das.

Welche Antworten haben Sie auf die Fragen der Menschen, die zu Ihnen kommen?

Wir antworten aus der christlichen Sicht: Die Alternative hat Jesus in der Bergpredigt gewiesen, die sagt, dass Hass und Gewalt nicht mit Hass und Gewalt zu beseitigen sind. Die Leute von 1989 haben mit ihren zwei Worten „keine Gewalt“ die kürzeste Zusammenfassung der Bergpredigt gebracht. Die Spirale der Gewalt muss unterbrochen werden, ansonsten setzt sich das immer weiter fort. Und genau davor haben wir gewarnt: Solange die USA den Vergeltungskrieg nicht begonnen hatten, waren alle Sympathien der Welt auf ihrer Seite. Aber in dem Moment, in dem sie zurückgeschlugen, ging die Spirale der Gewalt los. Krieg führt niemals zum Ziel. Krieg bringt keinen Frieden.

Nehmen die Menschen in Ostdeutschland die Angriffe der USA und die Politik der Bundesregierung anders wahr als in Westdeutschland?

Schon möglich, denn im Westen haben die Menschen eine andere Grundeinstellung zu den USA als im Osten. Das geht auf die Hilfsaktion der USA für Westberlin während der sowjetischen Blockade von 1948/49 zurück. Und auf den Marshallplan. Hier in Ostdeutschland wurden die USA im Kalten Krieg von den Sowjets zum Buhmann gemacht. Und das hatte Folgen, so etwa in der Beurteilung des Vietnamkriegs. Diese unterschiedliche Sicht, über 40 Jahre lang gelebt, wird sich auch jetzt noch ausdrücken. Aber ich warne davor, das überzubewerten.

Wie werden die Deutschen reagieren, sollte es wirklich zum ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr kommen?

Ich hoffe, dass sie reagieren und dass ein Ruck durch das Land geht! Dass sich Deutschland schleichend wieder militarisiert hat, ist eine Schande für unser Land, das kann ich leider nicht sanfter sagen. Es erfüllt mich mit tiefer Trauer, dass Deutschland so tief gesunken ist. Und der Bundeskanzler sichert in vorauseilendem Gehorsam die „uneingeschränkte Solidarität“ zu, ohne zu wissen, was die Amerikaner tun werden. Das ist nicht nur peinlich, das ist eine Verantwortungslosigkeit gegenüber Deutschland! Das ist wie die „unverbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion“, die wir hier im Osten immer gehört haben. Das ist einer Demokratie unwürdig!

INTERVIEW: SUSANNE AMANN