Eine Türkin spielt Skinhead

■ Sechs europäische Schulen wollen „interkulturelle Kompetenz“ lernen

Filiz (Name von der Redaktion geändert) lässt die Sohlen ihrer Springerstiefel auf den Holzboden knallen, in den Händen schwingt sie einen Baseballschläger. Sie genießt das Gefühl von Macht und Stärke. Filiz hat gerade eine Unterrichtsstunde „Darstellendes Spiel“. In diesem Rahmen hat ihre Lehrer-in sie aufgefordert, einen Rollenwechsel zu vollziehen: Die zierliche Türkin, üblicherweise eher das Opfer von rassistischer Bedrohung und Gewalt, ist in die Rolle des Skinheads geschlüpft und fühlt sich gut. Gleichzeitig erschreckt sie sich auch darüber, wie sehr sie ihre Machtdemonstration genießen kann.

Ihre Lehrerein Barbara Larisch vom Schulzentrum des Sekundarbereichs II in Walle hat diesen Weg gewählt, um die SchülerInnen „das Andere“ erleben zu lassen. Umgekehrt lernten die brutalen Hau-Draufs die Opferrolle kennen: Sie fühlten sich hilflos als Fremde, die sich nicht verständigen konnten, weil sie die Sprache nicht beherrschten.

Jetzt plant das Schulzentrum in Walle mit Schulen aus Almelo (Niederlande), Prag (Tschechien), Wilna (Litauen), Wien (Österreich) und Warschau (Polen) ein europäisches Projekt zur „Entwicklung Interkultureller Kompetenz“. Rollenspiele, wie das beschriebene, aber auch viele Informationen über andere Nationalitäten und Kulturen und die Entwicklung von Sprachkompetenz sollen Projektbestandteile sein. Barbara Larisch ist eine von den beteiligten LehrerInnen. Sie hat schon früher Konflikttrainings mit Jugendlichen gemacht. An ihrer Schule gibt es dafür immer wieder Anlässe. Immerhin gilt das Schulzentrum des Sekundarbereichs II in Walle als eines, das einen besonders hohen Anteil an ausländischen SchülerInnen hat: aus der Türkei, aus afrikanischen und aus osteuropäischen Staaten, Araber, Palästinenser, Bosnier oder Kroaten.

Das Projekt zur Entwicklung interkultureller Kompetenz soll auf der Ebene der einzelnen Schulen ansetzen: In Walle bemühen sich bereits jetzt SchülerInnen um einen „Begegnungsraum“. Da könnten dann beispielsweise türkische Jugendliche Gastgeber in einer türkischen Teestube sein, die sie vorher selbst eingerichtet hätten. Ein typischer Konflikt in Walle sei der zwischen den „machismo-behafteten türkischen jungen Männern“ und deutschen Schülerinnen, so die Lehrerin. Larisch hofft darauf, dass sich die Einstellung der Gruppen zueinander positiv entwickelt, „wenn eine deutsche Schülerin erst einmal von so einem türkischen Macho formvollendet im Begegnungsraum den Tee serviert bekommen hat“.

Eine zweite Ebene für die Entwicklung interkultureller Kompetenz soll der Austausch zwischen den sechs Schulen sein, die sich an diesem Projekt beteiligen. Larisch berichtet von einem zwischen deutschen und niederländischen Jugendlichen schwelenden Konflikt, der in diesem Rahmen entschärft werden könnte.

Wie die Projektarbeit im Einzelnen aussehen wird, darauf wollte Larisch sich noch nicht festlegen. Schließlich befinde sich das Gesamtprojekt noch in der Vorbereitungsphase. Worüber sie sich freut, ist der Umstand, dass genau so viele Schulen aus dem „Westen“ wie aus dem „Osten“ mitmachen.

Nach einer Vorbereitungstagung im Januar in Wien wollen die sechs Schulen den Förder-Antrag stellen. Wenn das klappt, könnten drei Jahre lang Anti-Gewalttrainings, Rollenspiele und gegenseitige Besuche der Schulen aus EU-Mitteln finanziert werden. aro