Darf der Wachhund bellen?

Der sächsische Datenschutzbeauftragte Thomas Giesen brachte CDU-Justizminister Steffen Heitmann zu Fall. Jetzt steht Giesen wegen Geheimnisverrats vor Gericht

DRESDEN taz ■ „Es geht um mein Amt und nicht um meine Person. Meine Kontrollfunktion ist eine öffentliche, sonst wäre ich ein Wachhund, der nicht bellen darf!“ Mehr als einmal machte der sächsische Datenschutzbeauftragte Thomas Giesen bei seiner ersten Vernehmung gestern klar, dass es um einen Präzedenzfall geht: Darf ein Datenschützer Verstöße öffentlich anprangern?

Hintergrund sind von Giesen veröffentlichte Aktenvermerke des Exjustizministers Steffen Heitmann, die im vergangenen Jahr zum Rücktritt des CDU-Politikers führten. Heitmann hatte sich über ein laufendes Untreueverfahren gegen die CDU in Görlitz berichten lassen und seinerseits den dortigen CDU-Kreisvorsitzenden Volker Bandmann davon unterrichtet. Zudem hatte er auf die Beschleunigung des Verfahrens hingewirkt. Seine diesbezüglichen Aktenvermerke las Giesen am 23. August auf einer Pressekonferenz vor.

Der Datenschutzbeauftragte stieß im August 2000 eher zufällig auf diese Geschichte, als er wegen sich häufender Hinweise auf die auffällige Neugier Heitmanns im Ministerium vorstellig wurde. Im Schnitt 40 Berichte landeten wöchentlich auf dem Schreibtisch des Ministers. Obschon die Staatsregierung die erfolgte Beanstandung des Datenschutzbeauftragten zurückwies, trat Heitmann drei Wochen später auf öffentlichen Druck hin zurück. Die Ermittlungen gegen Heitmann wurden später eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft wirft Giesen nun Geheimnisverrat vor, weil er gegenüber Journalisten wörtlich aus den Akten zitiert hat. Damit seien öffentliche Interessen gefährdet worden. Sie seien im Gegenteil geschützt worden, erwiderte Giesen gestern vor der 4. Strafkammer des Landgerichts in Dresden. Er habe den Minister aufgefordert, sich schriftlich zu Korrekturen seines Verhaltens bereit zu erklären. Diese Erklärung sei aber ausgeblieben. Daraufhin habe er sich an die Öffentlichkeit gewandt. Eine besondere Geheimhaltungspflicht habe seiner Ansicht nach nicht bestanden, vielmehr sei er seiner Berichtspflicht nachgekommen.

Heitmann sagte dazu, von einem Ultimatum sei ihm nichts bekannt gewesen. An Einzelheiten des Vorgang habe er keine Erinnerung mehr. Ihn sei es darum gegangen, „dass ich unterrichtet werde“.

Oppositionspolitiker sehen in dem Verfahren einen Racheakt gegen Giesen. Der war im Dezember 1991 von mehr als zwei Dritteln der Abgeordneten des sächsischen Landtags zum Datenschutzbeauftragten gewählt worden. Staatsregierung und CDU-Mehrheitsfraktion ahnten damals noch nicht, welches Kuckucksei sie sich mit ihrem Unions-Freund ins Nest geholt hatte. Giesen, einer der „Wossis“ der ersten Stunde, war zuvor schon in dem am meisten von postsozialistischem Filz betroffenen sächsischem Landwirtschaftsministerium durch investigative Fähigkeiten aufgefallen.

Damit nervte er fortan auch Staatsregierung und Verwaltung und erwies sich überhaupt nicht als der erhoffte Parteisoldat in einem brisanten Amt. Der Versuch, ihn mit einer Novelle des sächsischen Datenschutzgesetzes mundtot zu machen, scheiterte bislang am öffentlichen Widerstand.

Bezeichnenderweise war die Dresdner Staatsanwaltschaft auf Anregung von Generalstaatsanwaltschaft Jörg Schwalm tätig geworden. Schwalm, als Intimus von Heitmann bekannt, hatte schon mehrfach für die Einstellung von Verfahren gesorgt, die der Staatsregierung auf die Füße hätten fallen können.

MICHAEL BARTSCH