Tägliche Farce an der Heimatfront

Wie geht es weiter? Und warum? Bush, seine Minister und ein DutzendTV-Experten versuchen angestrengt, Sinn und Logik des Krieges zu erklären

aus New York ANDREA BÖHM

Wir führen zwei Kriege und müssen geduldig sein, hat der Präsident gesagt, der zwar nicht meiner ist, und womöglich nie wirklich gewählt wurde, aber das lassen wir jetzt beiseite. Einen fechten wir also an der Heimatfront: gegen Anthraxbriefe und den nächsten großen Anschlag. Den anderen kämpfen wir weltweit – derzeit vor allem in Afghanistan.

Dort beherrschen US-Bomber die Lüfte, meldet täglich stolz das Pentagon, bloß klatscht inzwischen keiner mehr. Denn während die Supermacht den Himmel kontrolliert, sind die Taliban am Boden offensichtlich bei guter Stimmung. Einen der Oppositionsführer haben sie exekutiert, einen zweiten vermutlich schon in ihrer Gewalt. In Pakistan melden sich tausende Freiwillige für den Kampf gegen Amerika, dessen Verteidigungsminister eben erklärte, man werde Ussama Bin Laden vielleicht nie fassen. Das sagte Donald Rumsfeld so nonchalant, dass man meinte, sich verhört zu haben.

Wie darf man das verstehen? Als beiläufige Bankrotterklärung oder als opportune Modifizierung der Parole „Wanted: Dead or Alive“?

Weil das Pentagon den Medien so wenig Aufschlussreiches über Krieg und Kriegsziele mitteilen mag, hat die Washington Post in der Vergangenheit herumgestöbert, und herausgefunden, dass Washington noch bis kurz vor dem 11. September mit den Taliban über eine Auslieferung Ussama Bin Ladens verhandelt hat. Nicht, dass die Taliban für irgendetwas Bonuspunkte verdient hätten, aber offensichtlich wollten sie ihren saudi-arabischen Gast durchaus loswerden. Es gab nur kulturelle und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten: Holt ihn euch, sollen die Taliban signalisiert haben, aber lasst uns dabei nicht wie Verräter aussehen. „Wir haben die Signale bloß nicht verstanden“, sagt jetzt der ehemals zuständige CIA-Mann.

Solche Einsichten helfen uns heute leider nicht, da die USA nun, wie es Arundhati Roy formuliert, „die Stecknadel suchen, indem sie den Heuhaufen anzünden“. Aber nicht doch, würde George W. Bush sagen: „Wir führen keinen Krieg gegen das afghanische Volk.“ Das Problem ist: Gezielte Militäreinsätze gegen al-Qaida sind ein legitimes Mittel nach deren Kriegserklärung, und die Entmachtung der Taliban wäre schon vor dem 11. September eine ehrenwerte Aufgabe gewesen. Ein dreiwöchiges Bombardement aus strategischer Ratlosigkeit aber ist ein Krieg gegen das afghanische Volk.

Bei der allabendlichen Kriegsberichterstattung mache ich nun Bekanntschaft mit dutzenden pensionierter Generäle, die sich freiwillig vom Golfplatz an die Fernsehfront gemeldet haben, um als Taliban-und-Terror-Experten die Zuschauer zur Geduld zu ermahnen. Echte Gotteskrieger seien eben zäher als die leicht zu erschütternde Soldateska eines Saddam Hussein. Die nahe liegende Zwischenfrage, was in dieser Zeit mit den Flüchtlingen geschehen soll, stellt keiner der Moderatoren. Ich kann durch 62 Kanäle schalten: Die afghanische Flüchtlingskatastrophe findet im US-Fernsehen nicht statt. Im kollektiven Kurzzeitgedächtnis der Fernsehredakteure sitzt der Afghane auf einem Fels und nestelt selig an der Erdnussbuttertube aus dem Fresspaket made in USA.

Und George W. Bush fragt sich, ehrlich erschüttert, warum in Kairo, Amman oder Peshawar niemand „USA, USA“ skandiert. Eine PR-Firma, lese ich in Newsday, soll der US-Regierung jetzt ein besseres Image in islamischen Ländern verschaffen. Das ist nicht einfach. Denn Brandreden gegen Amerika und Israel und die „jüdisch-amerikanische Weltlobby“ gehören zu den wenigen Freiheiten, die so US-freundliche Regime wie Ägypten oder Saudi-Arabien in ihren Medien und Moscheen erlauben – so viel zur Dialektik der Anti-Terror-Koalition.

Aber wenn man aus PR-Gründen Cruise Missiles mit Bohnen kombiniert, muss man sich am Selbstbildnis des bombenden Samariters schon arg besoffen haben, um Dankbarkeit und Beifall zu erwarten. Da hilft es dann auch nicht, für Colin Powell Sendezeit auf al-Dschasira zu kaufen.

Wie geht es jetzt weiter? Fragen wir den britischen Generalstabschef Admiral Sir Michael Boyce: „Der Druck“ – er meint das Bombardement – „hält so lange an, bis die Bevölkerung erkennt, dass sich ihre Führerschaft ändern muss.“ Das ist also die Botschaft: „Stürzt die Taliban, liebe Afghanen, dann hören wir auf mit Bomben und Embargo.“ Letzten Freitag endete der Oppositionsführer Abdul Haq, der vor den kontraproduktiven Folgen eines Bombardements gewarnt hatte, am Galgen der Taliban. Schon allein deswegen sollte man Sir Boyce für seinen Satz tadeln.

Das würde aber am düsteren Ausblick nichts ändern. Die USA haben sich auf Kosten der afghanischen Zivilbevölkerung in eine Sackgasse gebombt: Jetzt die Kampfhandlungen einzustellen, hieße, die Taliban mächtiger und Ussama Bin Laden populärer zu machen, als sie vorher waren. Zu einem massiven Einsatz von Bodentruppen aber ist das Pentagon vorerst nicht bereit – und nach alternativen Kampfkonzepten muss es erst noch suchen. Inzwischen hat das US-Verteidigungsministerium sogar einen Ideenwettbewerb „zur Bekämpfung des Terrorismus“ ausgeschrieben. Teilnehmen kann jeder. Der Einsendeschluss ist der 23. Dezember. Die Vorschläge sollten im ersten Entwurf eine Seite nicht überschreiten und möglichst in 18 Monaten umgesetzt werden können.

Nein, das ist kein Witz. Das ist die tägliche Farce im ersten Krieg des 21. Jahrhunderts.

Wer’s nicht glaubt (oder wer mitmachen will), findet Näheres unter www.defenselink.mil oder www.bids.tswg.gov.

So viel zum Krieg in Afghanistan, nun zu den Meldungen von der Homefront. Mein ganz privater Orden für den „All American Hero“ geht diese Woche an Senator Russ Feingold aus Wisconsin, sowie 66 Abgeordnete im Repräsentantenhaus, die gegen das neue Anti-Terror-Gesetz gestimmt haben. Den Namen für dieses Paragrafenwerk auszutüfteln, muss mehr Zeit gekostet haben, als dessen Inhalt zu debattieren: Am 1. November tritt nun also der „Uniting And Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act“ in Kraft. Dieser pathetische Schwachsinn darf in der Presse jetzt als USA-PATRIOT-Gesetz verkauft werden, und wer wie Mister Feingold dagegen stimmt, gerät in den Ruch fehlender Vaterlandsliebe.

Was steht drin in diesem Paket?

Die Polizei darf künftig bei jedem Verdacht einer Straftat Wohnungen durchsuchen, ohne dass der Betroffene anwesend ist oder davon erfährt. Die CIA, die mit der Auslandspionage schon überfordert ist, darf (wieder) Bürger im eigenen Land bespitzeln. Wer sich in Zukunft bei Demonstrationen gegen den IWF mit der Polizei prügelt, kann wegen Terrorismus vor Gericht kommen. Ausländern ohne gültiges Visum, die nicht abgeschoben werden können, riskieren unbegrenzte Vorbeugehaft, wenn der Justizminister sie als Terrorismusverdächtige einstuft. Um auf amerikanisches Niveau zu kommen, hat Otto Schily also noch zu tun.

Nicht, dass mir die innere Sicherheit egal wäre. Ich finde es beruhigend, dass al-Qaida-Angehörige auf einer Liste des FBI landen wie im Fall von zwei Hijackern des 11. September. Mir wäre noch wohler, wenn das FBI deren Namen vor dem 11. September der amerikanischen Flugbehörde weitergegeben hätte, die sie vielleicht in die Computer der Fluggesellschaften eingespeist hätte, was, vielleicht, die Entführung wenigstens einer Passagiermaschine verhindert hätte. Wie man solche Pannen in Zukunft vermeidet, steht im USA-PATRIOT-Gesetz nicht. Dafür teilen redselige FBI-Agenten den Pressekollegen von der konservativen National Review mit, dass man inhaftierte Terrorismusverdächtige gerne in ägyptische oder marokkanische Gefängnisse auslagern möchte. Dort dürfe man „kraftvoller“ verhören als in den USA, wo das Folterverbot gilt, was ja Bestandteil der Zivilisation ist, die momentan über Afghanistan verteidigt wird.

Die Post hat mir heute Tipps zum Umgang mit potenziellen Anthraxbriefen geschickt: „Verdächtige Briefe nicht schütteln, nicht fallen lassen, nicht daran riechen. Gründlich die Hände waschen. Polizei rufen.“ Die Ermittler vermuten hinter den Bioterroristen nun doch nicht al-Qaida-Mitglieder, da diese sich mit solch kleinen Aktionen nicht abgebe. Al-Qaidas zweite Anschlagswelle komme erst noch. Jetzt durchkämmt man „hausgemachte“ rechtsextremistische und islamistische Gruppen in den USA, und im Fernsehen mahnen pensionierte FBI-Agenten zur Geduld.

Aber bei allem Patriotismus hören die Bürger das nicht mehr so gern. Die Postangestellten sind wütend, weil man sie bei den Anthraxtests tagelang schlicht übersehen hatte; die Gewerkschaften sind wütend, weil Washington den Binnenmarkt für Billigprodukte aus Pakistan öffnen will; die Kommunen murren, weil ihnen der Bund keine Finanzhilfe für die Sicherheitskosten geben will. Und die Presse wird langsam, ganz langsam ärgerlich, weil Bush und seine Republikaner – das US-Fähnchen im Revers und „God Bless America“ auf den Lippen – schon wieder die Kasse plündern. Denn neben dem Krieg gegen den Terror gibt es jetzt den „Kampf gegen die Rezession“, für den das nächste Steuergeschenk an „Big Business“ gepackt wird: 1.4 Milliarden für IBM, 800 Millionen für General Motors, 670 Millionen für General Electric, 600 Millionen für Chevron Texaco. Alle werden sich im nächsten, wie schon im letzten Wahlkampf erkenntlich zeigen. Das muss George W. Bush wohl gemeint haben, als er nach dem 11. September vor dem Kongress die Rückkehr zur Normalität forderte. Business as usual.