Bürgschaft in Schröders Gepäck

In Indien wirbt Bundeskanzler Schröder dafür, dass die Zusammenarbeit gegen den Terrorismus auch eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation einschließen muss. Entscheidung für Staudamm-Bürgschaft verärgert Grüne

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Am ersten Tag des Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Indien standen politische Gespräche im Vordergrund. Nach dem Gespräch zwischen Schröder und Premierminister Atal Behari Vajpayee stellten beide Seiten eine weitgehende Übereinstimmung ihrer Ansichten zum aktuellen Afghanistan-Konflikt und die politische Nachkriegsplanung fest. Im Zentrum von Schröders erstem Indien-Besuch steht allerdings die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen. In einem Grundsatzreferat bei einem Treffen der 47-köpfigen deutschen Wirtschaftsdelegation mit indischen Geschäftsleuten betonte der Kanzler, die Reaktion auf den 11. September könne nicht nur von der Außen- und Sicherheitspolitik kommen. Die Auseinandersetzung damit müsse vielmehr auch von der Wirtschaft, der Kultur und den Religionsgemeinschaften geleistet werden.

Die internationale Zusammenarbeit müsse vertieft werden, was gerade für die Wirtschaftsbeziehungen gelte. Deutschland sehe etwa im Einläuten einer neuen Welthandelsrunde beim WTO-Gipfel in Katar ein Mittel für eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft, „von der alle profitieren müssen“, so Schröder. Die Industrieländer, sagte er, „müssen den Entwicklungsländern substanzielle Zugeständnisse machen“. Allerdings müsse eine neue WTO-Runde die Diskussion über Umwelt- und Sozialstandards einschließen. Auf Nachfrage zeigte er aber auch Verständnis für die Forderung Indiens und anderer Entwicklungsländer, die der Implementierung der Vereinbarungen der letzten WTO-Runde Priorität einräumen. Diese Frage müsse auf den Tisch kommen, dürfe aber nicht eine neue Runde blockieren.

Am Freitagabend hatte der Bundeskanzler die von den Grünen und Umweltorganisationen bekämpfte Hermes-Bürgschaft für die Lieferung einer Schaltanlage der Siemens AG an den nordostindischen Tehri-Staudamm freigeben lassen. Es sei „höchste Zeit“ gewesen, meinte Siemens-Chef Heinrich von Pierer – „das Kraftwerk steht ohnehin schon, und es ging hier ohnehin nur um eine Nebenschaltanlage“. Mit ihren Protesten haben die deutschen Tehri-Gegner aber vielleicht langfristig doch noch einen Sieg errungen. Von Pierer meinte, bei solchen Verzögerungen werde Siemens nichts anderes übrig bleiben, als seine Politik der Produktion von Wasserkraftanlagen in Deutschland grundsätzlich zu überdenken.

Die Bundestagsabgeordnete Angelika Köster-Lossack, die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, bezeichnete die Entscheidung als Skandal. Sie verletze die neuen Hermes-Bestimmungen und sei ein weiteres Symptom für die Art, wie gemeinsam vereinbarte Positionen in der Koalition je nach Interessenlage über Bord geworfen werden. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller erklärte dagegen, es seien keine Koalitionsvereinbarungen verletzt worden. Die Entscheidung sei gefällt worden, nachdem sich alle vier zuständigen Ministerien damit einverstanden erklärt hätten.

In Delhi wurde gestern auch ein Energievorhaben von großer Nachhaltigkeit vereinbart. In Rajasthan soll ein Kombi-Kraftwerk Sonne/Kohle entstehen, das den Ausstoß von Kohlendioxid um eine halbe Million Tonnen reduzieren wird. Die wirtschaftliche Ausrichtung des Besuchs geht heute weiter, wenn Schröder in Bangalore die indische Softwarefirma Wipro und Filialen von SAP und Siemens besucht. Dort wird auch hervorgehoben werden, dass Deutschland die Zahl der „Green Cards“ um 10.000 erhöhen wird. Indiens Softwareindustrie fordert allerdings, dass die Karten nicht nur Individuen erhalten, sondern auch Firmen.