Durchdrungen von Drang

Wenn er eine Hauptmahlzeit wäre: Max Goldt las im Deutschen Theater wie ein freundlicher Engel über das „Las Vegas des Schuftens“ und „coole Sterbebetten“

Kennen Sie Chinesisches Roulette? Was wäre die zu erratende Person, wenn sie eine Landschaft, eine Epoche, ein Fortbewegungsmittel wäre? Max Goldt als Hauptmahlzeit wäre gefüllte Paprika mit Reis und Tomatensoße mit viel Liebstöckel drin. Total lecker, Mensch, hab ich ganz vergessen, wie lecker das ist, nach dem ganzen anderen Kram, den man derzeit so isst. Und, würde der gewiefte Ratefuchs vielleicht nachhaken, die Hackfüllung aus Neuland-Fleisch? Ja. Nein. Weiß nicht. Doch, wahrscheinlich doch.

Dieses Spiel könnte Max Goldt gefallen, ebenso die Keile, die es in bisher unverbrüchlich geglaubte Freundschaften zu treiben vermag. Denn er liebt „soziologische Delikatessen“, er liebt semiwissenschaftliche Versuchsanordnungen und die umständliche deutsche Sprache, gerne kombiniert mit alten und neuen Trendwörtern. So ist heute Abend im absolut ausverkauften Deutschen Theater die Rede vom „Las Vegas des Schuftens“, von „Gesteinsknarren-MP3-File-Tauschbörsen“ und vom „coolen Sterbebett“, das er gerne besäße.

Noch lieber würde er sich ein Sanatorium kaufen, in dem eine gepflegte Anzahl geschäftiger Ärzte, Krankenschwestern und Patienten ein glückliches Dasein fristeten und ihn zwei-, dreimal im Jahr wirklich ehrenvoll begrüßten. Und in dieser vertrauensvollen Umgebung mit wissenschaftlich optimalen Verhältnissen könnte er auch endlich seine erste Heroinspritze empfangen, und er würde nach diesen unerahnten Glücksgefühlen abreisen und seinen Taxifahrer wieder und wieder zur Umkehr bitten, um sich noch einmal zu bedanken. Wenn aber bei der toxischen Wirkung etwas schief ginge, würden im Nebenzimmer eingelassene extra geschulte Minidrogenambulanzen hoch gefahren, die sofort eingriffen.

Max Goldt hat nämlich bisher dieses schöne Privileg des Bohemiens noch nicht wahrgenommen, weil die Umstände bisher zu schmuddelig oder zu unsicher waren. Oder die Sache mit der Sterbehilfe: Wenn Max Goldt darüber nachdenkt, verbindet ihn plötzlich „eine lockere Freundschaft mit dem Gedanken, alleine zu sterben“. Und er stellt sich vor, wie es wohl so ist, wenn Uschi Glas, durchdrungen von dem Drang, den Sterbenden auf seinem letzten Weg zu begleiten, von ihm in seinen letzten Atemzügen kaum verständlich um ein Autogramm gebeten wird. „Und während die Tinte trocknet, verlischt ein Licht.“

Max Goldt versetzt sich, wie er es in seiner feuilletonistischen Vergangenheit so leidenschaftlich getan hat, immer noch gerne in Prominente und spinnt aktuelle Politskandale weiter. Das ist dann oft zum Totlachen. Aber kennen Sie das auch, dass man nicht weiterlachen kann, wenn man sieht, dass ein unsympathisch Aussehender an der gleichen Stelle lacht? Nun, ich gehe mal davon aus, dass das jeder kennt. Es handelt sich also um ein unlösbares Problem. Am besten, man kuckt also stur nach ganz vorne, wo Max Goldt wie ein freundlicher Engel sitzt. Viele seiner Geschichten sind neben aller Gewandtheit und dem Spaß daran, gesellschaftliche Unzulänglichkeiten genüsslich aufzubereiten, zutiefst moralisch, im Sinne von: Was ist gut an dieser Freiheit? Das ist die gefüllte Paprikaschote. Angenehm altmodisch und gehaltvoll.

Nur in einem Punkt habe ich mich echt gewundert: Hat er noch bei seiner letzten Lesung vor fast genau einem Jahr ein hingebungsvolles Plädoyer gegen sinnlose Anglizismen wie „das macht Sinn“ gehalten, benutzt er heute dieses unsägliche „ . . . nicht wirklich“. Zwar so betont, dass es auch ein donnerndes Zitat sein könnte, aber da bin ich mir nicht so sicher. Schließlich ist sein ganzer Vortrag so, dass kein Wort nebensächlich ist. Was ich wiederum super finde.

ALMUT KLOTZ