Ethik als neues Geschäftsfeld

Die Bewertung der sozialen Verantwortung von Unternehmen: bei Wirtschaftsprüfern und Managementberatern in den „besten Händen“? Falsche Grundlagen führen zu falschen Ergebnissen

Je größer ein Unternehmen ist, das auf seine Eignung für ein ethisches Investment hin geprüft werden soll, desto unüberschaubarer wird die Zahl der Zulieferer, Produktionsstätten, Verteiler und Tochtergesellschaften, die man untersuchen müsste. Die Manager von ethischen Fonds, Betreuer von ethischen Aktienindizes und Mitarbeiter von Rating-Agenturen sind deshalb immer recht dankbar für fertig zusammengefasste Informationen, die sie bei ihrer Arbeit als einfache Indikatoren für „ethisch“ oder „weniger ethisch“ verwenden können.

Im Umweltbereich hat man sich zum Beispiel daran gewöhnt, das Vorhandensein von zertifizierten Umweltmanagement-Systemen als einen solchen bequemen Indikator anzusehen und zu nutzen – häufig ohne weiter nach der tatsächlichen „Umwelt-Performance“ zu fragen. Entsprechend wurden seit einigen Jahren auch diverse Systeme von „social audits“ und „social standards“ entwickelt und angewendet, die über die soziale Verantwortung von Unternehmen Auskunft geben sollen. Bei den meisten Bewertungen werden diese Systeme unterschiedslos – auch wenn sie nur formal als „code of conduct“ unterzeichnet wurden – als Beleg für eine ethische Praxis genommen. Dabei sind qualitative Unterschiede doch längst unübersehbar.

Besonders problematisch scheint es zu sein, wenn die Zertifizierung einer sozialen Unternehmenspolitik in die Hände von bereits als Wirtschaftsprüfer tätigen kommerziellen Firmen gelegt wird (die in diesem Bereich einen schier grenzenlosen Wachstumsmarkt sehen). Dies ist beispielsweise beim Standard „SA 8000“ der amerikanischen Organisation Social Accountability International (SAI) der Fall. Hier sind internationale Prüfungs- und Beratungsunternehmen wie SGS, DNV oder BVQI dazu berechtigt, Zertifikate nach dem zu Grunde liegenden Prüfmuster auszustellen.

Ist bereits die mögliche Vermischung zwischen Beratung und Bewertung problematisch, so liegen noch größere Konflikte in der Tatsache, dass die Prüfer hier vom Prüfling selbst honoriert werden. Zwar findet sich diese Grundstruktur auch bei Bilanzprüfungen, hier sind allerdings die Methoden und quantitativen Daten weit eindeutiger, als bei der Überprüfung so dehnbarer Begriffe wie „soziale Verantwortung“. Gerade in den weiten Interpretationsspielräumen bei der Bewertung von „Verantwortungsübernahme“ und dem gleichzeitigen Interesse, einen „guten Kunden“ zu behalten, liegen Risiken, die sich kaum vermeiden lassen und von außen nur schwer zu kontrollieren sind.

Wird doch einmal nachkontrolliert, so sind die Ergebnisse erschreckend. Bereits im letzten Jahr wurde der Report „Monitoring the monitors“ veröffentlicht, in dem Untersuchungsergebnissen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) in China, Korea und Indonesien nachgegangen wurde. Der Bericht fasst zusammen, dass „die Auditoren“ beispielsweise Folgendes „übersehen“ haben: den Gebrauch von gefährlichen Chemikalien und andere relevante Gesundheits- und Sicherheitsprobleme; Hindernisse für die Organisationsfreiheit und Verhandlungsfreiheit der Arbeitnehmer; Verletzungen der Überstundenregelungen; Verletzungen der Lohnvorschriften; gefälschte Zeiterfassungssysteme.

Und: „Ein unabhängiges Monitoring kann eine positive Rolle bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen spielen, aber nur, wenn es transparent und verantwortlich geschieht, die Arbeitnehmer voll einbezieht und von lokalen NGOs und den Arbeitnehmern selbst verifiziert werden kann.“

In einer jüngst von der „New Academie of Business“ veröffentlichten Studie wird generell in Frage gestellt, ob der Ansatz von kommerziellen Wirtschaftsprüfern, „Listen mit Kreuzen zu füllen“, geeignet ist, die wahren Verhältnisse an Arbeitsplätzen zu erfassen.

In der Untersuchung wurden die Systeme des SA 8000 und der Code der britischen „Ethical Trading Initiative“ gegen die tatsächlichen Arbeitsbedingungen auf Bananenplantagen in Costa Rica geprüft. Die Autoren der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass die Interessen kommerzieller Wirtschaftsprüfer mindestens in drei falschen Grundannahmen zur Wirkung kommen: „Erstens dass die Auditoren objektiv sein könnten, zweitens dass ein social audit ein neutraler Test der Arbeitsbedingungen sein könnte und drittens, dass all dies in wenigen Tagen zu bewerten wäre.“ Die Autoren der Studie versuchen, dem mit ihrem Modell der „partizipativen Arbeitsplatzbewertung“ etwas qualitativ Neues entgegenzusetzen.

Auch das „Stiftungsmodell“ der europäischen „Clean-Clothes-Campaign“ versucht, die weit gehend an Unternehmensinteressen orientierten amerikanischen Systeme zu überwinden. Hier sollen kommerzielle Auditoren einer von allen Akteuren getragenen Stiftung verantwortlich sein, und nicht nur als private Vertragspartner der zu überprüfenden Hersteller oder Händler eingesetzt werden.

Wie auch immer die zahlreichen Experimente zur Entwicklung effektiver Monitoring-Systeme in den nächsten Jahren ausgehen werden: Die Hoffnung, dass ein erhöhtes geschäftliches Interesse von Wirtschaftsprüfern automatisch zu mehr sozialer Verantwortung von Unternehmen führen könnte, darf man getrost als naiv bezeichnen.

VOLKMAR LÜBKE