Der Rufmord an Bülent Öztoplu

Ein prominenter Migrantensprecher und Mitglied des österreichischen Menschenrechtsbeirats soll nach Deutschland ausgeliefert werden – wegen eines dubiosen Haftbefehls aus Mannheim. Die angebliche Tat liegt 17 Jahre zurück

von BERND PICKERT

Bülent Öztoplu, 41, ist so etwas wie Österreichs Cem Özdemir. Der Geschäftsführer des Vereins „Echo“ (www.echo.non.at) ist der prominenteste Migrantenvertreter. Als Experte gehört er auch dem Menschenrechtsbeirat des Innenministers an und kann unangemeldet in jedem Polizeirevier etwaigen Vorwürfen gegen Beamte nachgehen.

So war es bis zum 12. September diesen Jahres. Da ersuchte ein angeblicher Reporter des Revolverblattes Krone bei Öztoplu um einen Interviewtermin. Stattdessen erschienen 20 schwer bewaffnete Polizeibeamte und verhafteten den „aggressiven Gewalttäter“ (Polizeivermerk) in seinem Büro und ließen ihn drei Wochen in Auslieferungshaft sitzen. Der Grund: Öztoplu würde seit 1984 wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags vom Landgericht Mannheim per Haftbefehl gesucht.

Öztoplu, damals wie heute türkischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Wien, war in der Nacht vom 13. auf den 14. April 1984 in Mannheim in eine Schlägerei zwischen drei Türken und drei Deutschen geraten. Die türkischen Männer riefen um Hilfe, Öztoplu griff ein, plötzlich zog einer der Deutschen eine Pistole und schoss. Öztoplu wurde ins Gesäß getroffen und lief zur Polizeiwache Mannheim-Innenstadt, um Anzeige zu erstatten.

Was Öztoplu nicht wusste: Bei den drei Deutschen handelt es sich um Zivilbeamte der Mannheimer Polizei. Nach eigener Darstellung hätten sie sich gegenüber den drei türkischen Männern deutlich zu erkennen gegeben, nachdem es zu einer Rempelei und Beleidigungen gekommen sei. Beim Versuch, die Männer festzunehmen, hätten diese sich gewehrt, Messer seien im Spiel gewesen. Tatsächlich trugen zwei der Beamten Schnittwunden davon. Nur: Auch die anderen beteiligten türkischen Männer suchten Zuflucht im Polizeirevier Mannheim-Innenstadt – ein zumindest untypisches Verhalten für flüchtige Straftäter. Öztoplu erstattete Anzeige gegen den Polizeibeamten, der auf ihn geschossen hatte.

Öztoplu wurde rund einen Monat in U-Haft gehalten und dann gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt. Öztoplu fragte, ob er nach Wien zurückkehren dürfe – und erhielt mit Datum vom 26. Oktober 1984 eine Notiz der Staatsanwaltschaft Mannheim, die Haftbefehle gegen ihn und die anderen Beschuldigten würden aufgehoben, die Kaution zurückgezahlt und es sei beabsichtigt, alle Verfahren „wegen Unaufklärbarkeit“ einzustellen. Das Schreiben liegt der taz vor. Öztoplu erhielt seinen Pass und kehrte nach Wien zurück.

Seither versuchte Öztoplu drei Mal, ein Visum für Deutschland zu bekommen – erstmals im Dezember 1984, um seine Strafanzeige gegen den Polizeibeamten weiterzuverfolgen. Mit Datum vom 24. 1. 1985 erteilte ihm die deutsche Botschaft in Wien einen abschlägigen Bescheid. „Die Stadt Mannheim hat keine Zustimmung erteilt“, heißt es zur Begründung in dem Schreiben, das der taz ebenfalls vorliegt. Zum vorläufig letzten Mal versuchte Öztoplu 1991, ein Visum für Deutschland zu bekommen, beim deutschen Konsulat in Istanbul – Fehlanzeige.

Inzwischen war gegen die drei ursprünglich Beteiligten der Schlägerei ein Verfahren durchgeführt worden: Am 16. 12. 1985 verurteilte sie das Landgericht Mannheim (Az (1) 2 Ks 9/84) wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollzugsbeamte zu Haft zwischen einem und zwei Jahren. Der Vorsitzende Richter Müller vermerkte nach dem Visumantrag Öztoplus 1991 handschriftlich in der Prozessakte: „An einem Visum sind wir überhaupt nicht interessiert. Sollen wir dies dem Konsulat telefonisch mitteilen oder die Sache ruhen lassen? Plötzlich haben wir ihn und können ihn, besonders jetzt, nicht brauchen!!“ Daneben eine handschriftliche Eintragung mit der Nummer des Istanbuler Konsulats und „Anruf getätigt 8. 3. 91“, gezeichnet Folkerts, Beisitzende Richterin. Auch diese Vermerke liegen der taz vor. Bis August diesen Jahres. Da habe man erfahren, dass Öztoplu sich womöglich in Österreich aufhalte, erklärt ein Sprecher des Landgerichts Mannheim der taz, und einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Merkwürdig.

Gegen eine Kaution von umgerechnet 43.000 Mark ist Öztoplu derzeit frei und wartet auf seine Auslieferung. Doch sein Ruf ist dahin. „Sie wollen mich fertig machen“, sagte Öztoplu der taz. Der Vorsitzende des Menschenrechtsbeirats, Bernhard Holzinger, betreibt bereits den Ausschluss Öztoplus. Damit wäre einer der schärfsten Kritiker der österreichischen Polizei mundtot gemacht.