Das unterschätzte Gemüse

Der Kohl hat zwar immer noch das Image des Arme-Leute-Essens, aber der Konsum steigt trotzdem. Dithmarschen lebt davon  ■ Von Gernot Knödler

Zurzeit werden sie wieder geerntet in den Kögen an der Westküste, aber auch in den Vier- und Marschlanden: Kohlköpfe, dick, rund und freundlich anzuschauen. Im Gegensatz zum Hering hat der Kohl das Image des Arme-Leute-Essens nie ablegen können. Die Klage „Kartoffeln und Kohl, Kohl und Kartoffeln“ ist ein Synonym für schlechte Zeiten geworden, der Geruch von Kohl im Treppenhaus gehört in der Literatur zur Metapher für Armut, und die Krautfresserei zum Klischee vom hässlichen Deutschen.

All das tut der Pflanze aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicacae) unrecht. Denn Kohl ist reich an Vitamin C, an Kalium, Kalzium, Magnesium sowie Ballaststoffen, dabei kalorienarm und somit ideal für den übersättigten Konsumenten von heute. Den ökologisch Orienterten erfreut der Kohl mit langer Haltbarkeit auch außerhalb des Kühlschranks und kurzen Transportwegen: in heimischen Gefilden, ganz besonders in Norddeutschland gedeiht er prächtig.

Fast ein Drittel der deutschen Kohlproduktion stammt aus Dithmarschen. Das Seeklima und der gute Boden haben es zum größten zusammenhängenden Kohlanbaugebiet Deutschlands gemacht, das aber erst vor gut 100 Jahren entstanden ist. „In der dritten Generation“ baue ihre Familie Kohl an, sagt Maren Beckmann, die einen Hof im Friedrichskoog an der Elbmündung betreibt. Viel älter ist der Koog auch nicht.

Erst das fette, dem Meer abgerungene Land hat den Anbau der anspruchsvollen Pflanze möglich gemacht. Und als Ende der 1890er Jahre die Preise für Weizen, Zu-ckerrüben und Mastochsen purzelten und die Menschen in den schnell wachsenden Großstädten lagerfähiges Gemüse brauchten, stiegen die Bauern auf Kohl um. Noch heute ist das Geschäft nach Einschätzung Björn Ortmanns von Bioland so lukrativ, dass es die Bauern nicht für nötig halten, auf Bio umzustellen. Weniger als ein Prozent der Dithmarscher Kohlproduktion stammt aus ökologischem Landbau.

Maren Beckmann will das zwar so nicht bestätigen, der Absatz des Traditionsgemüses lässt jedoch nicht zu wünschen übrig. „Der Verbrauch steigt, wie allgemein bei Gemüse“, ist ihr Eindruck. Zum Teil hänge das vermutlich mit der BSE-Krise zusammen, doch sei auch ein allgemeiner Trend hin zum Gemüse erkennbar.

Die Zahlen des Kieler Landwirtschaftsministeriums bestätigen diese Einschätzung: Die Produktionszahlen im Fünfjahresdurchschnitt sind von der zweiten Hälfte der 70er Jahre bis zur zweiten Hälfte der 90er Jahre für Rot- und Weißkohl von 192.000 Tonnen auf 286.000 Tonnen gestiegen, bei Weißkohl alleine von 140.000 auf 232.000 Tonnen. Lediglich in der ersten Hälfte der 80er Jahre ging die Produktion vorübergehend zurück.

In Hamburg dagegen ist die Anbaufläche für Kohl nach Auskunft der Wirtschaftsbehörde seit 1985 von knapp 300 auf 100 Hektar zurückgegangen. Für die Bauern in den Vier- und Marschlanden und Moorwerder ist es lukrativer, Beet- und Balkonpflanzen anzubauen als den Platz raubenden Kohl. Überdies können sie ihre Nähe zur Großstadt ausspielen, wenn sie leicht verderbliches Gemüse wie Salat anbauen.

Doch Hamburg ist eine Ausnahme: Der Bundestrend entspricht dem Trend in Schleswig-Holstein, wo Landwirtschaftsministerin Ingrid Franzen (SPD) im September stolz auf 80 Millionen Kohlköpfe verweisen konnte, die 2000 in Dithmarschen geerntet wurden. Der private Verzehr von Kohl habe im vergangenen Jahr in Deutschland um zwölf Prozent zugenommen und liege inzwischen bei sechs Kilogramm pro Bundesbürger und Jahr.

Kohl scheint also keineswegs aus der Mode zu sein. Man mag es kaum glauben: So viel Gyros mit Krautsalat isst doch kein Mensch, und so viel Sauerkraut zumindest niemand, der dem Autor bekannt wäre. Kohlrouladen sind auch nicht das gängigste aller Gerichte. Aber vielleicht liegt es ja am Blumenkohl, der sich so leicht und schmackhaft überbacken lässt.

Doch schon der Blumenkohl belegte in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr mit 468 Hektar Anbaufläche bloß den dritten Rang hinter Rotkohl mit 502 Hektar und dem dominierenden Weißkohl mit 2670 Hektar. Alle übrigen Sorten zusammen kamen nur auf 481 Hektar. Der Genuss von Wirsing, Rosenkohl, Grünkohl, Broccoli und Chinakohl spielt also nicht die entscheidende Rolle. Die Essgewohnheiten der Deutschen sind offenbar stärker traditionell geprägt, als man annehmen würde.

Für die Kraut-Konserven-Indus-trie gelten jedenfalls die gleichen Trends wie in anderen Sektoren der Nahrungsmittelindustrie. Die Nachfrage bei kleinen Gebinden und Fertigprodukten steige, sagt Britta Mehlert von der Meldorfer Firma Kronprinz-Konserven. Auch die wachsende Zahl der Singles isst eben Kohl.