Ohne Filter

Der Verzicht auf das maschinelle Aussieben von kleinsten Trub- und Hefestoffen bringt etwas mehr Aroma und Identität auf die Flasche. Ein badischer Winzer berichtet von seinen Erfahrungen

von NORBERT HELDE

„Unfiltered!“ Wie ein Signal steht es auf Etiketten. Vor allem die Kalifornier schreiben es offensiv und stolz auf ihre Flaschen. Aber auch in Frankreich und neuerdings in Deutschland werden immer öfter ungefilterte Weine angeboten. Es ist ein – noch schüchterner – Versuch, den Wein natürlicher und authentischer zu präsentieren. Leider ist es gar nicht so einfach, Jahrgang für Jahrgang ungefilterte Weine abzufüllen.

In meinem eigenen Betrieb habe ich bei Silvaner und Spätburgunder auf die Filtrierung verzichtet und dabei gute Erfahrungen gemacht. Im direkten Vergleich zwischen der gefilterten und der ungefilterten Partie hat mir Letztere wiederholt besser geschmeckt: etwas mehr Aroma, mehr Frucht und beim Weißwein auch mehr Frische. Auch bei meiner Kundschaft haben die ungefilterten Weine eine überraschend gute Akzeptanz. Das ermuntert zu weiteren Schritten in diese Richtung.

Hinter dem Verzicht auf die Filtrierung steht die Einsicht, dass jedes Behandlungsverfahren den Wein strapaziert. Die Filtrierung nimmt ihm darüber hinaus auch etwas von seinen charakteristischen Aromen und Feinstoffen weg. Es werden eben nicht nur die letzten Trub- und Hefereste rausgeholt, sondern auch eine kleine Portion Weinpersönlichkeit. Umgekehrt muss dafür in Kauf genommen werden, dass ein ungefilterter Wein nicht ganz so schick im Glase steht. Er braucht außerdem mehr Zeit, um sich langsam von selbst zu klären. Wer schon zu Beginn des Frühlings seiner Kundschaft den neuen Jahrgang komplett präsentieren will, kann keine ungefilterten Weine vorstellen. Außerdem bringt jeder Verzicht auf die Filterung ein gewisses Risiko mit sich. Wird der Wein wirklich stabil bleiben? Eigentlich ist es ein kleines Wunder, wie sich mancher Tropfen von selbst reinigt und dann über Jahre eine erstaunliche Stabilität zeigt.

Üblicherweise werden in Deutschland die Weine ein- bis zweimal abgestochen, also im Fass oder Tank von ihrem Hefedepot getrennt. Dann wird gefiltert, um winzige Trubstoffe und Hefereste zu beseitigen. Die Verfahren reichen von brachialen Hochleistungszentrifugen über Papier-Schichtenfilter, Kieselgurfilter bis zum Hühnerei, das, in die Fässer geschüttet, ebenfalls Trubstoffe beseitigen kann. Vor der Abfüllung der Weine kann dann nochmals eine Entkeimungsfilterung vorgeschaltet werden. Nach dem Filtern ist der Wein zunächst „filtrationskrank“, er muss sich einige Tage von der Prozedur erholen. Je intensiver die Filterung war, desto „sicherer“ wird der Wein: keine Nachgärung, keine bakterielle Verunreinigung, kein Depot, dafür ein glanzhell rausgeputzter Kandidat im Glas. Der aber im Geschmack leicht an Aroma und Frucht verloren hat. Natürlich pocht jeder Winzer auf eine schonende Filterung. Aber die schonendste Filterung ist nun mal gar keine!

Meist spürt man schnell, ob sich der Kandidat für eine ungefilterte Abfüllung eignet. Nach meiner Erfahrung müssen die Trauben wirklich hochreif sein und möglichst dünnschalig. Wenn der Most sauber aus der Presse läuft, ist dies ein erstes gutes Zeichen: Der klärt sich womöglich von selbst. Statt ein- oder zweimal steche ich ihn dann drei- oder viermal von der Hefe ab. Meist genügt das. Mein letzter Spätburgunder war allerdings etwas renitent und brauchte noch einen fünften Abstich, bis er mir gefiel. Überraschungen gibt es bei diesem Spiel mit der Natur immer wieder. Manche Weine wollen sich partout nicht klären und müssen dann doch noch gefiltert werden. Andere sehen schon nach dem ersten Abstich so blitzsauber aus, als wären sie gerade durch den Zentrifugierer spaziert.

Die Kommunikation mit meiner Kundschaft war einfacher als zunächst befürchtet. Mein Spätburgunder war binnen vier Wochen ausverkauft. Beim Rotwein akzeptieren die Kunden eine minimale Trübung inklusive eines leichten Depots eher als beim Weißwein. Das mag mit der Bordeaux-Erfahrung zu tun haben. Schließlich weiß jeder Weinkenner, dass ein alter Rotspon aus dem Médoc ein ansehnliches Depot mitbringt und entsprechend schonend behandelt und eingegossen sein will. Diesen Respekt gegenüber dem Wein sollte der Kunde auch bei der ungefilterten Flasche mitbringen, sie einen Tag früher aus dem Keller holen und aufrecht stellen, damit sich das Minidepot absetzen kann. Dann sollte der Wein vorsichtig eingegossen werden, als wär’s ein Grande aus Pauillac. Dieses kleine Mehr an Sorgfalt ist nötig, dafür gibt’s ein wenig mehr Genuss.

Ich würde mich freuen, wenn in unseren Anbaugebieten mehr Weine ungefiltert angeboten werden. Bisher steht dem noch das Sicherheitsdenken gegenüber, und man hat es ja immer schon so gemacht. Wenn jetzt noch die Weintrinker bei ihrem Winzer gezielt ungefilterte Weine nachfragen, dann könnte daraus ein kleiner Trend entstehen, der den Wein als Naturprodukt wieder stärker betont.

Der Autor ist Juniorchef des Bioweingutes Helde in Jechtingen am Kaiserstuhl. Wer seinen ungefilterten Silvaner probieren will: Fon (0 76 62) 61 16, Fax 61 60, www.wein-helde.de