vorlauf
: Trauerarbeit

„Späte Reise“ (Do., 20.45 Uhr, Arte)

„Du hast doch hierher gewollt! Immer wieder kaust du dein Leben durch. Was bringt es dir, dorthin zu fahren?“ – Riwka wird von ihrem Mann beschimpft. Die 65-Jährige hat sich spät dazu entschlossen, die Gedenkstätte in Auschwitz zu besuchen.

Sie und ihr Mann sind extra aus Tel Aviv gekommen, um nun gemeinsam mit ihrer Reisegruppe in einem Bus zu sitzen, der wegen Motorschadens unweit vom Reiseziel stecken geblieben ist. Draußen liegt Schnee, die nahe gelegene Bar ist geschlossen. Eine alte Frau ist ohnmächtig geworden. Als der Arzt ihren Puls misst, erhascht die Kamera einen Blick auf ihren tätowierten Unterarm. Da es immer kälter wird, versucht der Reiseleiter zu beschwichtigen. Gleich soll es weitergehen, Decken werden ausgegeben. Einige wittern Gefahr, dass sie Opfer eines Attentats geworden sind.

Szenen aus Emmanuel Finkiels Spielfilm „Späte Reise“, der 1999 in Frankreich und bei internationalen Festivals mit Preisen ausgezeichnet wurde und nun erstmals im Fernsehen gezeigt wird. Finkiel erzählt von drei jüdischen Frauen, die auf unterschiedliche Weise mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Das Reisen ist das verbindende Motiv zwischen den Episoden, die auf dem Weg nach Auschwitz, in Paris und in Tel Aviv spielen.

Auch wenn sich die Wege von Vera, Régine und Riwka lediglich kreuzen und nicht treffen, so verbindet die Frauen doch ihre jüdische Identität. Sie alle haben Entwurzelung erlebt, Teile ihrer Familie verloren und hatten das Glück, selbst der Katastrophe entgangen zu sein. Finkiel zeichnet mit viel Einfühlungsvermögen das Bild einer Generation, die genauso wie das Jiddisch, das hier gesprochen wird, im Aussterben begriffen ist.

Die Darsteller, die allesamt Laien sind, verkörpern ihre Rollen mit viel Präsenz und Authentizität. Sie gehören zu den französischen Aschkenasim – Juden, die ursprünglich aus Mittel- und Osteuropa stammen.

Für den Regisseur gilt wohl das Gleiche wie für seine Schauspieler: Er verarbeitete mit diesem Film ein Stück seiner eigenen Vergangenheit – Finkiels Eltern wurden während des Holocausts von den Nazis deportiert.

LASSE OLE HEMPEL