Der politischste Privatier Europas

Beim Attac-Kongress ist Gastredner Oskar Lafontaine – bums – wieder ganz der Alte. Kandidiert er als Elder Statesman der Globalisierungskritik?

Oskar Lafontaine bei Attac: Foto. Fernsehen. Applaus. Er hat schon unappetitlichere Gelegenheiten genutzt („Bild“, „Das Herz schlägt links“), sich wieder ins Gespräch zu bringen

aus Berlin UTA ANDRESEN

Podiumsdiskussion. Ob das Wort in ihm Erinnerungen weckt? An die Physikvorlesungen in Bonn und Saarbrücken zur Hoch-Zeit der 68er womöglich? An die Siebziger- und frühen Achtziger-Jahre bei der SPD, die damals noch „ein tiefes Verständnis für die Verantwortung in der Welt“ hatte, wie er selbst sagt? Oder an die Proteste gegen die Nato, in denen er sich auf die Seite der Friedensbewegten und damit gegen seinen Kanzler Helmut Schmidt stellte?

Vielleicht.

Wenn ja, lässt er sich das auf jeden Fall nicht anmerken.

Technische Universität zu Berlin, Audimax, Podiumsdiskussion auf Einladung von Attac. Zwar sitzen noch zwei hinter den Mikrofonen – der aufrecht altlinke Politikprofessor Wolf-Dieter Narr und die Südwind-Aktivistin Ingeborg Wick – , um mit ihm über die „Ohnmacht des Nationalstaates – Kernproblem oder Mythos“ zu debattieren.

Aber Oskar Lafontaine (58), der einstige Minister und Chef der deutschen Sozialdemokraten, ist wieder ganz der Alte. Großer Mann auf großer Bühne. Dass die frauenbewegte Moderatorin der Südwind-Vertreterin zuerst das Wort erteilt und nicht ihm, dem Stargast?

Geschenkt.

Kaum hat er das Wort, begrüßt er galant den Schriftsteller Stefan Heym im Publikum, als sei er der Veranstalter hier.

Erinnert als dann an den Wirbel in der Wall Street, als er den europäischen Staaten im Internationalen Währungsfonds mehr Gewicht zu verleihen suchte. Schwärmt ein wenig von der Tobin-Steuer, „die Sand in das Getriebe des internationalen Kapitalverkehr streuen wird“. Prangert „das Versagen nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik“ an – das seiner Nachfolger, versteht sich. Foto. Applaus. Und das Fernsehen ist auch da.

Nur, wie kommt ein Oskar Lafontaine zu einem solchen Publikum? Vor drei Jahren redete er noch vor den Finanzministern und Notenbankchefs dieser Welt, heute vor Studenten mit Collegeblock und Cargohose, Antifas mit Dreadlocks und Kapuzenpulli, in langen Sit-ins ergrauten Friedens- und Dritte-Welt-Aktivisten.

Ist es die Konjunktur des Themas, die spätestens seit der Polizeiprügel in Genua und noch mehr nach den Terrorakten von New York und Washington treuen Kritikern der Globalisierung wie Lafontaine ein Hoch beschert? Attac gewissermaßen als Tabubrecher, der es möglich macht, über längst verstaubt geglaubte Anliegen wieder diskutieren zu dürfen? Oder versucht da ein abgehalftertes Politross geschickt, wieder in die Arena einzulaufen? Attac gewissermaßen als Boden, auf dem sich prima Kapriolen schlagen lassen?

Wenigstens hat Oskar Lafontaine schon unsympathischere Gelegenheiten genutzt, sich ins Gespräch zu bringen, nachdem er im März 1999 als Finanzminister und SPD-Parteivorsitzender zurücktrat. Da war etwa der verbale Vergeltungsakt an der SPD in Form des Bestsellers „Das Herz schlägt links“, der ihn zwar ins politische Aus katapultierte, aber immerhin 800.000 Mark allein für das Manuskript einbrachte. Da gab es rührselige Sendungen bei Sabine Christiansen, unsägliche Kolummnen bei Bild, traurige Tanzbären-Auftritte bei Springer-Empfängen, lukrative Danone-Werbespots für die beschnittenen Mädchen Afrikas und happeningartige Buchvorstellungen mit Gregor Gysi. Alles in allem Aktionen, die stets das schale Gefühl hinterließen, dass da ein linkes Herz Selbstdarstellung und ein liberales Konto Sättigung sucht.

Und nun kommt dieser Lafontaine, dieser „Deserteur“ (SPD-Linke), dieser „Verräter“ (SPD-Rechte), diese „unappetitlichste Figur im politischen Phrasengeschäft“ (Spiegel), und bekundet Sympathie für eine Bewegung wie Attac. Was macht man da als Begehrte?

„Man unterhält sich“, sagt Peter Wahl vom Attac-Koordinierungskreis, der Lafontaine zu Beginn des Jahres gefragt hat – also lange bevor Genua die Bewegung auch in Deutschland bekannt machte –, ob er sich einen Auftritt auf dem Kongress in Berlin vorstellen könnte.

Oskar Lafontaine konnte. Gut sogar. Man traf sich dann Ende August, bei Lafontaine zu Hause, zwei Stunden lang, in freundschaftlicher Atmosphäre.

Ja, es hätte Bedenken gegeben, Lafontaine ins Boot zu holen, sagt Wahl. „Wir haben kein Interesse daran, von einer Person solch politischer Prominenz vereinnahmt zu werden.“ Dass das Misstrauen zumindest bei manchen immer noch vorhanden ist, zeigen „Maulheld“-Rufe aus dem Publikum.

Einig wurde man sich mit Lafontaine dennoch. Schließlich profitiert hier auch ein Sammelsurium politischer Nonames von der Prominenz eines Mannes. Man ist noch zu jung, um eigene Helden zu haben. „Wir hatten das ganz starke Gefühl, dass dieser Kongress den Durchbruch bringen müsste, sonst könnten wir das Projekt vergessen“, sagt Wahl.

Durchbruch. Der scheint erreichbar. Fast 3.000 Menschen haben den Kongress besucht – eine ganze Menge für eine Organisation, die vor kurzem noch aus fünf Ortsgruppen bestand. Erreichbar vielleicht auch dank Mitgliedern wie Lafontaine. Das Audimax zumindest ist an diesem Morgen voll besetzt, selbst auf den Gängen zwischen den Sitzreihen hocken Zuhörer. Jubeln, wenn Oskar Lafontaine Steueroasen austrocknen will oder gleichen Lohn für gleiche Arbeit und eine Stärkung der UNO fordert. „Inhaltlich bewegt sich Lafontaine ganz und gar im Zentrum von Attac“, sagt Peter Wahl. Er klingt zufrieden.

Oskar Lafontaine, Elder Statesman einer sozialen Bewegung? Da könnte Michael Müller, linker Sozialdemokrat im Bundestag, zu viel kriegen: „Der entfesselte Kapitalismus ist doch nichts Neues! Da hätte der Oskar als Minister und SPD-Chef aber mehr für die politische Gestaltung der Globalisierung tun können.“ Und überhaupt, ein Elder Statesman zeichne sich dadurch aus, dass er eine politische Karriere erfolgreich beende und nicht eine hinschmeiße. Wer mal bei Bild und mal bei Attac sich zu Wort melde, sei nicht besonders glaubwürdig.

Möglich, dass Michael Müller vor ein paar Tagen den Artikel von Oskar Lafontaine in der Zeit gelesen hat. Da schreibt er, wohl als Vorgeschmack auf den Attac-Kongress: „Die deutschen Parteien sind neoliberale Steuersenkungsparteien, die den Sozialabbau für die große Jahrhundertreform halten.“

Bums.

Das kann einen Parteigänger nicht freuen. Entsprechend groß ist das Misstrauen selbst bei einstigen Freunden, Lafontaine könne den Namen Attac missverstehen und als Plattform für mündliche Racheakte nutzen.

Und da kommen sie auch schon, die Lafontaine’schen Attacken: Ein Unding, „die Alterssicherung dem Auf und Ab der internationalen Finanzmärkte zu unterwerfen“. Ein Elend, dass „die sozialdemokratischen Regierungen in Europa beim Abbau des Sozialstaates behilflich“ sind. Ein Drama, „die soundsovielte Erleichterung bei der Unternehmenssteuer“. Sicher, den Kanzler wird’s nicht behagen. Aber das hatte man alles auch schon einmal schlimmer.

Von dem beleibten älteren Herrn auf dem Podium hieß es jedenfalls noch vor wenigen Jahren, er sei „der gefährlichste Mann Europas“ (Sun). Wahrscheinlich wegen Sätzen wie „Die Währungsspekulation muss eingedämmt werden“, den er noch in seinen letzten Tagen als Finanzminister diktierte. Doch wer fürchtet sich vor jemandem, der seine Forderungen nicht mehr durchsetzen muss? Wer hat schon Angst vor einem politischen Privatier?