Der Ussama vom Prenzlberg

Weil er nicht Berliner Bürgermeister wird, erklärt Gregor Gysi der SPD den Heiligen Krieg

Die Videobotschaft zeigt Gysi mit rotem Krawattenstirnband in seinem Kellerversteck

BERLIN taz ■ Die Wahl ist vorbei, die Stimmen sind ausgezählt und eines ist klar: Gregor Gysi wird nicht Regierender Bürgermeister von Berlin. Vor den Fernsehkameras der Abendnachrichten machte Gysi noch einen auf dufte, doch in der Nacht zum Montag sickerte durch, was der PDS-Politiker wirklich im Schilde führt und welche ungeheuerlichen Taten er plant.

Nach seinem letzten Fernsehinterview zog sich Gregor Gysi mit einer Gruppe treuer Wahlkampfhelfer in den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zurück. Bereits auf dem Weg dorthin, so berichtete ein abtrünniger PDS-Helfer entsetzt, habe Gysi unter wüsten Verwünschungen mit der Stange einer PDS-Flagge die Eingangstür einer Grundschule in der Choriner Straße demoliert, wo bis 18 Uhr ein Wahllokal eingerichtet war.

Anschließend habe sich Gysi seine rote Krawatte um die Stirn gebunden und sei, gefolgt von etwa dreißig Genossen, randalierend die Kastanienallee hinaufgezogen. Mehrere Designerläden, ein Wartehäuschen und drei parkende Mercedes-Autos seien zum Angriffsziel der aufgepeitschten Meute geworden.

„Der Gregor war nicht mehr zu stoppen“, so der geschockte Mitarbeiter, „in der Schönhauser Allee befahl Gregor den Leuten, sofort einen antisozialdemokratischen Schutzwall zu errichten, und erklärte die Straßenkreuzung an der U-Bahn Eberswalder Straße mit dem berühmten Konnopke-Imbiss zur Sozialistisch Befreiten Zone (SBZ). Bis zur Vollsperrung der Kreuzung regelte Gregor eigenhändig den Verkehr, dann organisierte er einen provisorischen Wachdienst und hielt die ganze Nacht über fanatische Reden gegen den – so seine Worte – ‚Inbegriff des Bösen‘, Wowereit, und ‚seine stinkende Pestbeule SPD‘. Es war, als habe etwas anderes von Gregor Besitz ergriffen. Er war nicht wiederzuerkennen. Es war schrecklich.“

Bis zum Morgengrauen hat Gysi mit der Hilfe von wütenden allein erziehenden Vätern, wild entschlossenen Ost-Rentnern, Langzeitstudenten, sozial benachteiligten Migranten und anderen verelendeten Volksmassen weitere Straßen im Prenzlauer Berg unter seine Kontrolle gebracht. Die Berliner Polizei, bis zum letzten Mann mit Milzbrandabwehr und Rasterfahndung beschäftigt, ist bis zur Stunde nicht in der Lage, Gysis Treiben ein Ende zu setzen. „Wir sind froh, wenn wir den Regierungsbezirk Mitte verteidigen können“, sagte Polizeisprecher Karsten Barnabas. „Wir haben den BGS zur Mithilfe aufgefordert.“ Otto Schily ließ unterdessen verbreiten, er werde ein Schnellgesetz verabschieden, welches den Einsatz der Bundeswehr gegen Gysi ermögliche.

Doch wo genau sich Gysi aufhält, ist derzeit ungewiss. Unbestätigten Berichten zufolge soll er sich in einem der unzähligen und weit verzweigten Kohlenkeller des seit letzter Nacht in weiten Teilen nur schwer zugänglichen Stadtteils Prenzlauer Berges verschanzt haben. Über ein raffiniertes System von Zuträgern und Boten hält Gysi, der von einer zu allem entschlossenen ehemaligen SED-Leibgarde beschützt wird, Kontakt zur Außenwelt.

Auf verschlungenen Pfaden gelangte so eine von Gysi aufgezeichnete Videobotschaft nach draußen, die dem Berliner Fernsehsender TVB zugespielt wurde. Das Video zeigt Gysi mit dem berüchtigten roten Krawattenstirnband vor einem Berg Eierkohlen in seinem Kellerversteck. Mit erhobener linker Faust erklärt Gysi den Regierenden Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, zum „Hauptfeind aller Sozialisten weltweit“ und verkündet den „Heiligen Krieg um die Hauptstadt der künftigen Deutschen Sozialistischen Republik (DSR)“. Die Videobotschaft enthält auch Drohungen und Subtext-Sequenzen, die nur als Handlungsaufforderung an sozialistische Schläfer gedeutet werden können und deshalb nicht ausgestrahlt werden dürfen. „Was Wowereit jetzt erleben wird“, droht Gysi in der Botschaft, „ist unbedeutend im Vergleich zu dem, was ich und die Sozialisten aller Länder seit Jahren erleiden. Die Heuchelei stand mit ganzer Macht hinter dem Kopf von Wowereit, hinter dem Feigling dieses Zeitalters, der SPD, und denen, die auf deren Seite sind. Möge der lebendige Geist Stalins der SPD seinen Zorn zeigen und ihr geben, was sie verdient.“ Wie kurz vor Redaktionsschluss gemeldet wurde, hat Gysi mittlerweile alte Stasi-Seilschaften und NVA-Kämpfer mobilisiert. Panzer fahren auf Berlin zu. Nichts wird so bleiben, wie es war. MATTHIAS THIEME