Ich bin Agent provocateur

Friedrichshain-Kreuzberg: Sie ist die erste PDS-Bürgermeisterin, die auch im Westen regiert. Viele zweifeln aber inzwischen daran, dass Bärbel Grygier Ost und West gleichermaßen vertreten kann

von DIRK HEMPEL

„Mutig, stark und klug“ steht auf den Wahlplakaten der energischen Blondine. Es ist nicht irgendeine Blondine. Sie heißt Bärbel Grygier und ist die erste Politikerin, die für die PDS einen früheren Westbezirk verwaltet – den neuen Großbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Noch.

Hier wird die Wahl zum Bezirksparlament nämlich besonders spannend. Zum einen natürlich wegen Bärbel Grygier. Die 46-Jährige ist zwar parteilos, wurde aber von der PDS ins Rennen geschickt. Nun muss sich zeigen, ob erstmals eine PDS-Kandidatin von Westwählern bestätigt wird. Das Verhältnis von Ost- und Westbürgern ist nirgendwo so ausgeglichen wie in Friedrichshain-Kreuzberg. Nach den Daten des Landeswahlleiters standen Ende Juni 79.500 Kreuzberger Wahlberechtigte 79.144 Friedrichshainern gegenüber. Zum anderen lagen die Parteien bei den vergangenen Wahlen in Berlin nirgendwo so eng beieinander wie in den beiden Bezirken zusammengerechnet: Nicht einmal 1.600 Stimmen Vorsprung hatte die PDS 1999 vor der zweitplatzierten CDU. Die Christdemokraten wiederum hatten rund 2.000 Stimmen Vorsprung vor der SPD – vor den Grünen nur weniger als 1.500 Stimmen.

Kein Wunder also, dass sich Grygiers Gegenkandidaten aus SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen optimistisch geben; rechnerisch ist alles möglich. „Wir müssen nach den Wahlen alles neu aushandeln“, ist sich Grygier bewusst. Am liebsten aber sähe sie es, „wenn der Bezirk auch über diese zehn Monate hinaus von einer Frau regiert werden würde“. Am besten von ihr. Die Bilanz ihrer bisherigen Tätigkeit: „Ganz wunderbar.“ Sie sei voll zufrieden und habe trotz der kurzen zehnmonatigen Amtszeit viel erreicht: Gesundheitspolitik werde im Bezirksamt nun ressortübergreifend berücksichtigt, in einem Modellversuch habe man Druckräume für Drogenabhängige eingerichtet, und man arbeite an einem Runden Tisch zu Rechtsextremismus und Gewalt. „Hier arbeiten wir besonders mit Nichtdeutschen zusammen“, sagt die Bürgermeisterin stolz.

Als Grygier vor rund einem Jahr gewählt wurde, wusste sie ein Dreiparteienbündnis hinter sich: Grüne und SPDler votierten mit der PDS. Mittlerweile formuliert nicht nur Michael Schäfer, CDU-Kandidat und Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen, seine Unzufriedenheit mit dem „Linksbündnis“. Sozialstadtrat Lorenz Postler, der für die SPD ins Bürgermeisterrennen geht, betont zwar noch den „Erfolg der Dreierkonstellation“. Allerdings wäre den Grünen und den Sozialdemokraten ein rot-grünes Bündnis ohne die Sozialisten allemal lieber. Da die CDU voraussichtlich Stimmen einbüßt, wäre dies sogar dann möglich, wenn die PDS stärkste Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bleibt.

„Sind wir stärker als die SPD, könnten die Sozialdemokraten uns zur Mehrheit verhelfen – und andersherum genauso“, erklärt der grüne Baustadtrat Franz Schulz. Bis Ende letzten Jahres war er Bürgermeister von Kreuzberg – und möchte für diesen Posten jetzt im Vereinigungsbezirk wieder antreten. Keine Partei, so Schulz selbstbewusst, sei so geeignet wie die Grünen, die Kluft „zwischen diesseits und jenseits der Oberbaumbrücke abzubauen“. Mit der PDS-Bürgermeisterin sind nämlich längst nicht alle zufrieden. In der täglichen Zusammenarbeit erhält sie zwar selbst von ihrem CDU-Kontrahenten Schäfer nur die besten Noten: „Sie ist eine offene, intelligente und kommunikative Frau.“ Aber wegen ihres resoluten bis kompromisslosen Auftretens halten die wenigsten sie für geeignet, Ost und West gleichermaßen zu vertreten. Ihr Entschluss, den Vorsitz des Migrantenrates nicht automatisch qua Amt zu übernehmen, wurde als Ignoranz gedeutet, das Motto „Alles geht einmal zu Ende“ für die Kreuzberger Festlichen Tage als Affront. Zuvor hatte Grygier kritisiert, die Festtage seien mit zwei Wochen zu lang. Vorwürfe, die der Bürgermeisterin nichts anhaben können. „Ich bin ein Agent provocateur“, sagt Grygier über Grygier. Damit erreiche sie etwas Wichtiges: „Es wird diskutiert, und das lohnt sich“, so die PDS-Politikerin. Insbesondere auf Kreuzberger Seite herrsche die Einstellung vor, es dürfe sich „bloß nichts verändern“. Beliebt macht sie sich damit nicht. Bei einigen Kreuzberger Sozialdemokraten gilt die Amtsinhaberin als indiskutabel für eine weitere Amtszeit. Dort fürchtet man selbst in der eigenen Partei die Dominanz des Ostens: das gemeinsame Rathaus liegt in Friedrichshain und auch der eigene Spitzenkandidat Postler kommt aus dem östlichen Teil des Vereinigungsbezirkes. Deswegen wird in Reihen der SPD bei einem Wahlsieg die Kreuzbergerin Ingeborg Junge-Reyer, Staatssekretärin bei der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, als mögliche Bürgermeisterin gehandelt. Kandidat Postler sieht dies gelassen: „Wir sind geschlossen genug, zu unseren Personalentscheidungen zu stehen.“

Auch die PDS hat ihre Probleme mit dem Ost-West-Bezirk. In Kreuzberg dürfte die Partei kaum zusätzliche Wähler für sich begeistert haben. „Außer einem bestimmten kulturellen Milieu wählt uns im Westen doch keiner“, sagt ein Bezirkspolitiker. Und im Osten erhält die PDS nun noch unerwartete Konkurrenz : „SED – wir sind wieder da“ ist auf Wahlplakaten in Friedrichshain zu lesen. Die Spaßpartei KPD/RZ, bisher mit einem Sitz in der BVV vertreten, hatte sich im Juli mit ihrem Pendant, den Friedrichshainer Amorphen Zentralisten (FAZ) „zwangsvereinigt“. Und nennt sich nun wie die PDS-Vorgänger. „Dass eine 85-jährige Elfriede Müller dort ihr Kreuz macht, lässt sich nicht ausschließen“, sagt Grygier über die neue SED. Und lacht.