Die Gesetze der Sexindustrie

aus Appelhülsen und Bochum ASHWIN RAMAN

Molly van Rubens verspricht „garantiert fünf Kilo Möpse“. Für Kunden, die immer zu Hause essen, wird mit gespreizten Beinen Folgendes angeboten: „Heute bleibt die Küche kalt, wir essen heut bei Wilma Wald“.

Allein im Lüner Sonntagskurier, der in Lünen bei Dortmund kostenlos erscheint, stehen jede Woche 64 Angebote dieser Art zur Auswahl. Eines davon ist das „Schmuckkästchen“ in Appelhülsen. Es befindet sich in einem unscheinbaren dreistöckigen Gebäude eines Industriegebiets. Besitzerin ist die ungefähr 50 Jahre alte Ulrike. Sie erklärt detailliert das Programm: Normalverkehr (20 Minuten) DM 100, Normalverkehr mit Französisch einseitig (25 Minuten) DM 150, Normalverkehr mit Französisch beidseitig (35 Minuten) DM 200, zwei Frauen gleichzeitig (20 Minuten) DM 200, Analverkehr DM 400, eine englische Erziehungsstunde DM 300 ...

Ulrike sieht mein Erstaunen über das breite Angebot. Sie sagt sanft: „Du kannst aber auch Dienstag oder Mittwoch kommen, DM 250 zahlen, dich von 12 bis 23 Uhr aufhalten und dreimal Spaß haben. Dir stehen sechs reizende Damen zur Verfügung. Selbstverständlich sind Getränke und Buffet im Preis inbegriffen. Möchtest du die Aktionsräume ansehen?“ Der Aktionsraum ist zirka 20 Quadratmeter groß. Darin stehen vier Betten, in der Ecke ein Fernseher, der Pornofilme zeigt. An den Wänden hängen Bilder von Silikon-Frauen in diversen Stellungen, an der Decke spiegeln sich die Anwesenden in einem einzigen großen Spiegel. „Bis du Türke, oder wat?“, fragt Ulrike. Um ihr zu imponieren, antworte ich, dass ich aus dem Land des Kamasutra stamme. Ohne Erfolg. „Sag den Mädchen, dass du Amerikaner bist. Türken und Ithakas mögen sie nicht.“

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Einige Tage später präsentiere ich mich im Schmuckkästchen als Sam Tucker aus Santa Monica. Inzwischen ist der Zweck meines Besuchs geklärt, weshalb ich auch nichts bezahlen muss. Im verrauchten Empfangsraum sitzen fünf Frauen auf Sofas. Jill, eine Deutsche, die Tschechin Anne, die Polinnen Maja und Katharina sowie die Philippinerin Tina. Alles natürlich Bettnamen.

Das gilt vermutlich auch für die Gäste: Helmut der Kellner, Wolfgang der Hubschrauberpilot, Dirk der Jägermeister, Herbert der Geschäftsmann, Uli der Zivi und Manni der Fernfahrer. Ein Abend aus Sex, Lügen und Angeberei hat begonnen. Herbert, mit BOSS-Jacke und Rose im Knopfloch, schenkt den Frauen Mon Cheri. Wolfgang der Hubschrauberpilot sagt: „Ich gehe nur dahin, wo die Girls geil sind. Für mich kommt, außer diesem Laden, nur die Mitfickzentrale in Krefeld in Frage. Dort kannst du es mit zehn Girls machen.“

Es wird viel getrunken. Die Männer reden vom letzten Urlaub in Wir-Form. Mallorca, Miami und Thailand. Immer wieder klingelt das Telefon. Jill, die einzige Deutsche, geht dran: „Wir sind in der Nordstraße 39, bei Schmuckkästchen klingeln. Heute sind Anne, 22, blond und vollbusig, Maja, 24, brünett mit gepiercten Brustwarzen...“ Ist Jill beschäftigt, übernehmen die anderen die Aufgabe. Sie lesen die Angebote von einem Zettel ab. Wie ein Anrufbeantworter.

Je später der Abend wird, um so öfter wird der Aktionsraum benutzt. Zwischendurch flüstert mir Manni der Fernfahrer zu: „Nimm die Katharina, die ist ein geiles Luder.“

Als die Gäste weg sind, sitzen Ulrike und die anderen Frauen noch zusammen. Sie trinken, rauchen und schlucken bunte Tabletten. Ich frage Ulrike, ob sie etwas von dem Gesetz gehört hat. Sie sagt fünfmal: „Kokolores“. Dann: „Verträge sollen zivilrechtlich wirksam sein. Schriftliche Verträge mit den Freiern gibt es bekanntlich nicht. Keine normal denkende Hure würde, aufgrund mündlicher Abmachungen, einen Freier vor Gericht anklagen. Und überhaupt, welche Frau würde vor Gericht ihre wahre Identität preisgeben und zu ihrem Berufsstand stehen?“

Dass die Frauen sozialversichert sind? „Wovon soll ich das alles bezahlen? Ich habe hier 5.000 DM Kaltmiete. Telefon- und Stromrechnungen sind nicht gerade niedrig. Werbekosten kommen dazu. Buffet und Getränke kosten auch einiges. Die Hälfte der Einnahmen teile ich mit den Mädchen. Abgesehen davon, glaubst du wirklich, dass deutsche Frauen mit Steuerkarte arbeiten wollen? Sie beziehen zum Großteil irgendwo Leistungen und sind sowieso versichert. Um als Hure versichert zu sein, müssten sie ihre Identität offenlegen. Außerdem sind fast 80 Prozent der Frauen aus Osteuropa und Asien. Sie sind auch illegal hier.“

Heißt das, auch ihre Mädchen sind illegal hier? Ulrike antwortet: „Die Mädchen wohnen hier im Bordell. Sie haben ja nur einen Koffer dabei. Die Polizei und die Behörden machen mir keinen Ärger. Dafür habe ich gesorgt.“ Während die Chefin redet, schweigen die anderen oder unterhalten sich auf Polnisch.

Als ich gehen will, fragen Maja und Katharina, ob ich sie bis zur Diskothek im Nachbarort mitnehmen kann. Auf ihre eigene Verantwortung, wendet Ulrike ein: Falls sie in eine Polizeikontrolle geraten, dürften sie keinesfalls angeben, wo sie wohnen. Werden sie festgenommen, kann das die Abschiebung bedeuten. Die Frauen gehen trotzdem. Sie wollen nicht rund um die Uhr im Schmuckkästchen sein.

An der Diskothek angekommen, wünsche ich ihnen alles Gute. Eine sagt: „Wünsch uns doch, dass wir jemand Netten treffen.“

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Die Hurenberatungsstelle Madonna e.V. befindet sich in einem heruntergekommenen Teil Bochums. Sie liegt gegenüber einer Kneipe, die „Ritze“ heißt. Die Räumlichkeiten sind hell und angenehm. Die Frau an der Rezeption ist groß, blond und trägt Pink. Neben ihr steht ein Tisch mit einer großen Schale Kondome und runden Schaumstoffstücken, in Plastik verpackt. Die Schaumstoffstücke, erklärt die Rezeptionistin, würden in die Scheide eingeführt, wenn die Frauen ihre Menstruation hätten, um weiterarbeiten zu können.

Diplom-Sozialarbeiterin Meike-Angela Czajka, 43, leitet die Beratungsstelle. Sie war sechs Jahre lang selber Sexarbeiterin. Sie ist der Meinung, dass Frauen wie Maja und Katharina nicht in die Debatte zum Gesetzentwurf gehören. „Menschenhandelsopfer und Migrantinnen in der Sexindustrie sind ein Thema für sich.“ Was den Gesetzentwurf selber betrifft, ist sie nicht begeistert. Obwohl vor Jahren die Hurenbewegung den Anstoß dafür gab, ein Antidiskriminierungsgesetz zu erarbeiten. Doch das Gesetzgebungsverfahren und die damit verbundene Diskussion haben Meike-Angela Czajka entäuscht – zuletzt die Bundestagsdebatte vor der Sommerpause: „Drogengebraucherinnen auf dem Strich, Kinderprostitution, Aids wurden munter in einen Topf geworfen und diskutiert. Die Grünen sagten, natürlich wäre es Mist, dass es nicht geklappt hat. Aber vielleicht klappt es diesmal mit einem nachgebesserten Gesetzentwurf. Nach 15 Jahren Nachbesserungsarbeit ist der Frust jedoch zu groß, sich wieder zu engagieren.“

Die Sozialarbeiterin erinnert sich an die Gespräche mit Feministinnen vor einigen Jahren. Die Frauen seien auf auf der einen Seite gern gegen die Diskriminierung von Huren zu Felde zogen. Aber davon, dass ihr Müsli essender, politisch aktiver Lebensgefährte die Huren nachts besuchte, wollten sie nichts wissen. Dann gab es noch wenige Männer von den Grünen. Alle waren natürlich noch nie bei einer Hure. Dafür hatten aber alle einen Bekannten, einen Bruder oder Schulfreund, der schon mal da war und „Geschichten aus erster Hand“ berichtet hatte.

Irgendwann Mitte der 90er-Jahre war der Frust so groß, dass die Hurenbewegung mit überhaupt keiner politischen Partei mehr zusammenarbeiten wollte. „Mit Hilfe von einigen Juristinnen haben wir einen Gesetzentwurf erarbeitet, in den wir alles hineinschrieben, was uns wichtig war. Sollte sich doch die Partei, die sich für uns einsetzen wollte, aus unserem Entwurf heraussuchen, was sie wollte.“

Als Rot-Grün 1998 an die Regierung kam, vereinbarten sie im Koalitionsvertrag: „Wir werden die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten verbessern.“ Da hoffte die Hurenbewegung. Erneut gab es Gespräche und Anhörungen. Heute debattiert der Bundestag wieder, bevor das Gesetz beschlossen wird. Läuft die Debatte so wie vor der Sommerpause, wird die Zusammenarbeit von Politik und vielen in der Hurenbewegung endgültig vorbei sein.