Vom Plenum zum Hit zum Chanson

Der Welt fehlen Role-Models für junge Frauen: Mit ihrem Hit „Neue Männer braucht das Land“ waren vor fast zwanzig Jahren alle einverstanden. Heute singt sie Lieder von Edith Piaf und will dabei authentisch bleiben. Ein Portät der Sängerin Ina Deter

von ALMUT KLOTZ

Wie würden wir reagieren, wenn Flyer eine „reifere, zugleich junggebliebene, wortgewaltige deutsche Rockdiva“ ankündigten oder eine „schillernde Interpretin, die in ihrer bekannt aktivierenden und aufrüttelnden Art Stellung zum Zeitgeschehen nimmt“? Wahrscheinlich würden wir retromäßig abwiehern und dahinter eine Fun-Punk-Kapelle vermuten, die ungefähr „Berta kriegt ’n Fön“ heißt. Tatsächlich stammen diese Attribute aus dem Ina-Deter-Presseinfo. Denn Ina-Deter-Flyer wären natürlich undenkbar. Obwohl Flyer ja die Enkel von Flugblättern sind. Und mit diesen wiederum hatte die Musikerin mal eine Menge zu tun.

Ihren ersten Song nämlich schrieb die Berlinerin 1974, als sie in Köln als frisch gewordene Grafikerin arbeitete, auf eine Frauengruppe stieß, die urknallartig eine solche Energie freisetzte, dass eine Kundgebung und eine Demo nach der anderen organisiert wurden. Es ging um die aktuellen frauenrechtlerischen Forderungen , Streichung des Paragraf 218, Kinderganztagsbetreuung, Frauenhäuser für vergewaltigte Frauen. „Ein Song wäre gut“, sagte Deter, die bis dato mehr von der Kunst kam als von der Politik. „Komponieren traue ich mir zu, aber den Text muss jemand anderes schreiben.“ Gleich fanden sich einige enthusiastische Germanistikstudentinnen. Ina Deter machte die Musik, und dann wurde sie von Plenum zu Plenum vertröstet, bis sie sich dachte: So, jetzt schreibe ich selber einen. Er hieß „Ich habe abgetrieben“.

So sagt es nicht die Legende, sondern Ina Deter selbst. Sie sitzt mir im Varieté Chamäleon gegenüber, in dem sie für ihren Liederabend probt. Um uns herum verrenken und verdrehen Akrobaten ihre Körper. Ina Deter erzählt freimütig und ausführlich über ihren Werdegang. Wie sie nach der aus der Not geborenen Entdeckung des Songwritings diese Fähigkeit enthusiastisch weiterverfolgte. Wie sie schon zwei Jahre später bei der Vorentscheidung des „Grand Prix d’Eurovision“ auf Platz 11 und durch die Disqualifikation der Gewinner, der Les Humphries Singers, auf Platz 10 landete. Wie sich alle großen Labels am nächsten Morgen bei ihr meldeten und sie der CBS den Zuschlag gab, weil die die Ersten waren. Wie sie nach vier erfolglosen Alben bei einem der inzwischen entstandenen Indie-Labels landete. Dann war 1982, und mit „Neue Männer braucht das Land“ hatte sie einen Hit, mit dem alle einverstanden waren. Wie war das? „Berauschend. Aber hinterher geht man durch die Flure, und die Leute rufen hinter dir her: ‚Hey, Ina! Wann machst du mal wieder so einen Hit?‘ Da fühlt man sich unter Druck gesetzt. Dabei kann man so einen Hit nur schreiben, wenn man schreibt, was man lebt.“

Das ist eine Aussage, die auf jene Zeit zutreffen mag, die aber bei einer erfahrenen Künstlerin von heute erstaunlich ist – ein Authentizitätsglaube, der ähnlich anachronistisch klingt wie die Kritik an „Ehe“ und „Kirche“, die Ina Deter noch immer zur Sprache bringt. Beim Thema Frauenbewegung in den Siebzigern im Vergleich zum Feminismus heute zuckt sie die Schultern und meint, die Frauen müssten es ja gut haben, wenn sie für nichts mehr auf die Straße gehen.

Ina Deter selbst hat es inzwischen mehr mit dem Einzelkämpfertum. Das Motto „Eine Frau setzt sich durch“ hat „Allein machen sie dich ein“ abgelöst. Das kann man auch schön an den 13 Titeln der Alben ablesen, die es bisher von ihr gibt. Waren es anfangs noch programmatische Solidaritäts-Slogans wie: „Wenn wir unseren Neid besiegen“ oder „Aller Anfang sind wir“, so werden es im Laufe der Zeit persönliche Bekenntnisse wie „Ich bereue nichts“.

Gesellschaftsuntauglich war Ina Deter dabei nie. Ihr Texte waren früher plakativ, aber niemals radikal. Sie haben die Frauenbewegung in die Küchen von zaghaften Hausfrauen gebracht, die mitsangen, wenn „Neue Männer braucht das Land“ oder „Frauen kommen langsam, aber gewaltig“ im Radio lief. Ihre Männer im Wohnzimmer nebenan hatten nicht viel zu befürchten. Denn immer war da ein versöhnlicher Ton, der an die innere Stärke des Einzelnen und gegen Mauern im Kopf appellierte und die Männer dazu aufrief, ihre Frauen ganz dolle in den Arm zu nehmen und zu drücken, um gemeinsam die Verwandlung zu Emanzipierten durchzustehen. Schockierende Sexparolen wie bei Nina Hagen oder coolen Egoismus wie bei Annette Humpe von Ideal gab es bei ihr nicht.

Später wurden ihre Texte lyrischer, mit satter Esoterik und sanfter Kritik durchsetzt: „Das Krokodil ist schmierig – gierig / Der Schakal entweiht – entehrt / der Marabu verloren – verbrannt / Spieglein, Spieglein an der Wand / Wer ist der Beste im ganzen Land?“ Heute erfüllt sich in Ina Deter das ewige Schicksal von Künstlerinnen, die für Rock „zu alt“ geworden sind: Sie wechselte ins Chansonfach. Aber man soll nicht jammern. Schließlich muss man auch heute noch um jede Frau froh sein, die nicht verglüht und von der Bildfläche verschwindet. Role-Models für junge Frauen, das ist es, was immer noch fehlt.

Ina Deter tritt heute um 23.30 Uhr mit ihrem Programm „Voilà“ im Chamäleon auf, Hackescher Markt, Mitte. Sie singt Lieder von Edith Piaf, die sie ins Deutsche übertragen hat. Begleitet wird sie von ihrem kleinen Orchester „Die Compagnons“.