Tanz der zwangsamputierten Elfen

Das königliche Kind kichert: Im Orph-Theater zeigt das Degenerate Art Ensemble sein Butoh-Experiment „Nypmh“

Wie Bajonette zersäbeln Gartenscheren die Luft. Weiße, in Röcke gekleidete Gestalten erheben sich im Hintergrund der Bühne von ihren Stühlen, staksen mit starren Schritten nach vorne, auf die zierliche Tänzerin zu. Vom Thron kichert der König ein irres Lachen und sucht auf seinem gläsernen Radio nach einem klaren Empfang. Es gelingt ihm nicht. Während sich die Musik steigert, kollabieren die Posen der Butoh-Tänzerin.

Dabei hatte alles friedlich begonnen. „Toi, toi, toi,“ hatte der König, der eigentlich ein Kind ist, gerufen und den Performance-Compagneros versichert: „That means the same like: Break a leg.“ Seine aus undefinierbaren Kupferelementen gefertigte Krone wippte ein wenig, dann schwoll die Musik an und das Spiel des im Orph-Theater gastierenden Degenarate Art Ensemble aus Seattle begann. Das Stück ist Teil einer größeren Inszenierung, die nächstes Frühjahr in den USA präsentiert wird.

Der in den 50er Jahren entwickelte, freie Butoh-Tanz ist dabei ein gleichgewichtiges Element neben Musik und Schauspiel. Lediglich Blumen, Scheren und Schubladen, auf denen die Tänzerin mit gespreizten Beinen heranrollt, verweisen als Requisiten nicht zufällig auf einschlägige Methaphern der Traumdeutung. Von Dali bis Freud: Häufig sollten leere Kästen und aus Frauenkörpern heraushängende Schubfächer das vielbeschworene Mysterium der Weiblichkeit bergen, Einblick bieten und waren doch nie einsehbar.

Ähnlich verhält es sich mit der Musik-Theater-Performance des Ensembles. Immer wieder schälen sich vertraute Bilder aus dem Halbdunkel, aber das Rätsel bleibt, das Geschehen ist letztlich nicht entzifferbar. Während das Kind auf seinem Thron immer weiter degeneriert, windet die Butoh-Tänzerin Haruko Nishimura ihren grazilen Körper, gequält von unsichtbaren Geistern. „Haruko hatte einen Traum, daraus haben wir das Spiel entwickelt“, beschreibt Joshua Kohl als Director den Ausgangpunkt der experimentellen Performance. Der Inhalt des Traumes war anscheinend auch der Asiatin nicht so ganz klar, hatte aber irgend etwas mit Kindheit, sich-in-Traumwelten verlieren zu tun, und dem Antogonismus: gutes Kind/böses Kind, plus allerlei anderen entwicklungspsychologisch sicher interessanten Genre-Plattitüden. Da die Performance jedoch kein Grundseminar für angehende Therapeuten ist, sondern durch expressives Spiel und die Intensität der Darstellung beeindrucken will, stört auch die sattsam bekannte Scheren/Kastrations-Metapher nicht weiter.

„Wir wollten eine nie gehörte Musik schaffen und die mit geheinmisvollen Bildern verbinden“, erläutert Joshua. Hierzu traktieren die als Mönche gewandeten Musiker Trompeten und Gartenschläuche, Gitarren und Trommeln. Tatsächlich entsteht dabei eine Collage, die zwar so revolutionär dann doch wieder nicht ist, aber die Besucher fasziniert. Wenn der kindsköpfige König auf einem Dreirad über die Fläche radelt und sich in der Tänzerin die Traumgestalt der Nymphe materialisiert, enstehen packende Momente. Die Entwicklung des erst unschuldigen, dann aber zusehends bedrohlicher werden Kinder-Charakters wird plausibel.

Auch der Titel ist kein Zufall. „Es gibt da dieses europäische Märchen mit den Nymphen“, meint Joshua. Um sich vor den Nymphen zu schützen, würden die Dorfbewohner Scheren in die Fenster hängen, mit denen könnten sie den Zauberwesen die Flügel kappen. Ob dabei nur die bösen oder auch die guten Elfen zwangsamputiert würden, lässt er offen: „Die Story entsteht erst im Kopf des Zuschauers“.

RICHARD RABENSAAT

13./14. und 18. bis 21. 10., 20 Uhr, Orph-Theater, Ackerstraße 169/170