Taliban wieder auf Sendung

Nach zwei Tagen Zwangspause macht Radio Scharia wieder Programm – und sendet auch auf UKW. Das iranische Fernsehen verstärkt seine Präsenz in Afghanistan. Westliche Sender versuchen, Bevölkerung über Gründe für Luftangriffe aufzuklären

von ROLAND HOFWILER

Der afghanische Taliban-Sender Scharia (islamisches Recht) hat am Mittwoch sein Programmwieder aufgenommen – und sendet erstmals auf UKW. Nur zwei Tage dauerte die Funkstille, nun können die Taliban wieder zur Gegen-Propaganda ausholen. Damit stellt sich für die amerikanischen Militärs ein neues Problem im Propaganda-Krieg.

Mit Beginn der zweiten westlichen Angriffswelle war Scharia am vergangenen Montag gegen 18:30 mitteleuropäischer Sommerzeit verstummt. Anscheinend hatten Cruise-Missiles die zentralen Sendeanlagen der Taliban zerstört. Seitdem nutzte die gegnerische Nordallianz die Kurzwellenfrequenzen 1107 und 7085 kHz, um das Programm ihres eigenen Senders, Radio Mudschahed, landesweit auszustrahlen. Europäische Funkamatuere konnten in den vergangenen Tagen nur noch eine einzige Lokalstation in der Provinz Balkh ausfindig machen, die das Taliban-Programm übertrug: Radio Masar-e Scharif bringt auf 1584 kHz regelmässig politische und religiöse Sendungen, allerdings mit enorm schwacher Sendeleistung.

Mit der Ausstrahlung auf der Ultrakurzwelle ist den Taliban ein Medien-Coup geglückt: UKW-Sender sind klein, beweglich – und für US-Aufklärungsflugzeuge aus der Luft nicht aufzuspüren. Um solche Sender auszuschalten, müssten Spähtrupps am Boden entweder mit Peilantennen deren Lage so präzise bestimmen, dass eine Rakete den Sender auch treffen würde, oder eigene Störsender errichten. Doch auch die Taliban haben ein Problem: Ein unverstärkter UKW-Sender deckt maximal einen Umkreis von 70 Kilometern ab, außerdem benötigen die Hörer etwas modernere Radios als jene ohne UKW-Empfang, die angeblich auf den Basaren feilgeboten werden. Oder ist dies nur Teil der westlichen Propaganda, dass es im Steinzeit-Land Afghanistan an jeglicher modernen Technik mangelt?

Erstaunlich ist es allemal, dass die Taliban plötzlich über UKW-Anlagen senden. Ihre bevorzugten Wellenbereiche waren bisher die Kurz-und Mittelwelle. Doch muss schon vor dem US-Angriff moderne Sendetechnik eingeschleust worden sein.

Wenig Glauben ist dabei Meldungen des Nordallianz-Senders Radio Mudschahed zu schenken, französische Funkamateure seien in diesen Tagen nach Kabul gereist, um den Taliban unter die Arme zu greifen und mit ihrer Aktion gegen die amerikanische Politik zu protestieren, das Recht auf freie Meinungsäußerung durch Bombenabwürfe zu unterbinden. Allerdings versuchen Funker und DX-er auf der ganzen Welt, Sendungen vor Ort, ob von den Taliban, der Nordallianz, aus Pakistan, dem Iran oder Usbekistan abzufangen und über Kurzwellen-Newsgroups als Real-Audio-Dateien im Internet zu „spiegeln“, wie es im DX-Jargon heißt. Das begehrteste Programm waren, bis zu den Luftschlägen, die täglich 15-minütige englischsprachige Nachrichtensendung der Taliban. Begehrt sind außerdem Sendungen des in Europa nur mit Spezialausrüstung empfangbaren Satelliten-Fernsehens al-Dschasira aus dem Golf-Scheichtum Katar (siehe taz vom 10.10.). Dessen Afghanistan-Reporter verfügt über modernste Technik – die ihm offenbar die Taliban stellen – um seine Beiträge zu übermitteln. Die Amerikaner hatten es bislang kein einziges Mal geschafft, schon im Vorfeld herauszubekommen, was der Sender an Material über Ussama Bin Laden in der Hand hält und wie al-Dschasira mit den Taliban und dem Terroristenchef kommuniziert. Funkamateure halten es nicht für ausgeschlossen, dass ein weitverzweigten Netz von Relais-Stationen in und um Afghanistan jederzeit einsetzbar sei, falls die direkte Satelliten-Überspielung einmal ausfallen sollte.

Westliche Medien übersehen außerdem die Berichterstattung beim Afghanistan-Nachbarn Iran. Die Stimme des Iran hat längst Reporter im Land der Taliban und bringt immer wieder exklusive Bilder. Sollte al-Dschasira ausfallen, könnten die Iraner sofort einspringen. Auch im benachbarten Pakistan gibt es viele Funkamateure, die auf ihren großen Tag warten und schon jetzt auf ihren Web-Seiten eifrig den Standpunkt der Taliban ins Netz stellen.

Unterdessen kommen die US-Pläne für ihr „Radio Free Afghanistan“ nach dem Vorbild des einstigen CIA-nahen „Radio Free Europe“ zu Zeiten des Kalten Krieges, nicht vom Fleck (siehe taz vom 8.10.). Bis „Free Afghanistan“ seinen Betrieb aufnimmt, versuchen der US-Sender Voice of America, die britische BBC und Radio France Internationale in jeweils zwei auf bis zu vier Programmstunden je Sender, der afghanischen Bevölkerung in den unterschiedlichen Landessprachen den Grund des westlichen Luftkrieges näherzubringen. Nach Auskunft arabischer Funkamateure sei dies allerdings bislang ein dilettantisches Unterfangen, eine „zu schablonenhafte Teilung der Welt in Gut und Böse“.