Das Liefern von Hilfsgütern reicht nicht aus

Der Krieg könnte erstmals eine EU-Richtlinie zum „Schutz in Massenfluchtsituationen“ in Kraft setzen und Afghanen auch nach Deutschland bringen

BERLIN taz ■ Angesichts der immer desolater werdenden Lage der Menschen in Afghanistan wird auch in Deutschland die Forderung nach der Aufnahme von Flüchtlingen laut: Die Europäische Union müsse sich darauf einrichten, „besonders Hilfsbedürftige“ hier aufzunehmen, erklärte gestern der Flüchtlingsreferent des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Harald Löhlein. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der nach Deutschland geflüchteten Afghanen bereits im September doppelt so hoch wie in den Vormonaten gewesen sei, müsse alsbald über Aufnahme-Kontingente nachgedacht werden. Auch Pro Asyl erklärte, wenn man von den Nachbarländern erwarte, mit Millionen Neuankömmlingen zurechtzukommen, läge es „in der Logik der Sache“, auch in Deutschland Menschen aufzunehmen: „Mit reiner Scheckbuchmentalität und dem Liefern von Hilfsgütern wird es nicht getan sein“, so Bernd Mesovic, Sprecher von Pro Asyl.

Nach Angaben des Büros der Bundesausländerbeauftragten haben sich die Innen- und Justizminister der EU bereits vor vierzehn Tagen mit einer möglichen Kontingentierung von afghanischen Flüchtlingen beschäftigt. So sei erörtert worden, erstmals die in diesem Sommer verabschiedete EU-Richtlinie zum „vorübergehenden Schutz in Massenfluchtsituationen“ in Kraft zu setzen, sagte Bernd Knopf, Specher des Büros der Ausländerbeauftragten. Die Richtlinie, die sich in etwa an dem Vorbild der EU-weiten Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen im Jahre 1999 orientiert, soll die vorübergehende Schutzgewährung von Menschen regeln. Sie beinhaltet auch – ebenfalls nach dem Vorbild Kosovo – den Transport der Flüchtlinge in die EU. Eine Entscheidung darüber, sie auf Afghanistan anzuwenden, sei allerdings bisher nicht gefallen, so Knopf. Zurzeit werde der Schwerpunkt der Bemühungen noch darauf gelegt, die angrenzenden Regionen bei der Aufnahme der Fliehenden zu unterstützen.

Seit mit dem Beginn der Angriffe in Afghanistan dort nicht nur Krieg ist, sondern auch die Zukunft des Taliban-Regimes ungewiss ist, wird auch im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg über einen Entscheidungsstopp in Asylverfahren nachgedacht. „Natürlich haben wir das angesichts der aktuellen Lage erörtert“, sagte ein Sprecher. Die Entscheidung liege aber beim Innenministerium, das gestern für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung stand. Bundesweit warten zurzeit noch über 10.000 Afghanen in Deutschland auf ihren Asylentscheid. Die Chancen, anerkannt zu werden, stehen seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2001, das Asyl auch bei „quasi staatlicher Verfolgung“ ermöglicht, relativ gut. JEANNETTE GODDAR