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: Offener Brief von Jochen Stay, Sprecher von X-tausendmal quer

Bomben und Castor-Protest

Eine bedrückende Situation: In Afghanistan fallen Bomben und es ist ungewiss, wie sich die Lage entwickelt. Und in dieser Situation wollen Anti-Atom-Gruppen einen Castor-Transport blockieren, der heute Abend Richtung La Hague und Sellafield starten soll? Ist das jetzt überhaupt dran?

Auf diese Frage gibt es sicherlich verschiedene, persönliche Antworten. Und ich finde es wichtig, diese unterschiedlichen Antworten zu respektieren. Meine persönliche Antwort ist: Ja, es ist jetzt dran, denn es wäre fatal, die Atomindustrie „wegen Krieg“ in Ruhe ihr schmutziges Geschäft machen zu lassen. Es wäre fatal, weil die heute und morgen geplanten Aktionen nicht der x-beliebige Protest gegen einen x-beliebigen Castor sind, sondern weil die AKW-Betreiber in der derzeitigen Situation mit dem Rücken an der Wand stehen. Ich möchte nicht, dass die Atomindustrie hierzulande zum „Kriegsgewinnler“ wird, weil im Schatten der Weltpolitik niemand mehr auf den rollenden Atommüll achtet.

Wie ist die Situation? Von 91 Behältern, die in diesem Jahr in die Wiederaufbereitungsanlagen gebracht werden müssen, sind bisher erst 32 abgeliefert worden. 59 Behälter müssen also erst noch rollen. Sollte der Transport in dieser Woche auch noch ausfallen, dann wird es für die AKW-Betreiber eng. Und selbst wenn er rollt, aber viel Polizeibegleitung braucht, dann wird der nächste umso länger auf sich warten lassen. Denn es gibt, ausgelöst durch die derzeitige „Sicherheitslage“, massive Personalengpässe bei der Polizei: Hans-Joachim Zastrow, Vorsitzender des Fachverbandes BGS der Polizeigewerkschaft, erklärte: „Es ist derzeit personell nicht mehr zu verkraften, die Transporte zu sichern.“

So wird auch der für November geplante Gorleben-Transport in Frage gestellt. Was dies für das fragile deutsch-französische Verhältnis in Sachen Atommüll-Tauschgeschäfte bedeutet, ist überhaupt nicht absehbar. Wir sind also, ohne dass dies in der Öffentlichkeit groß Thema wäre, an einem Punkt, wo wir als Anti-Atom-Bewegung viel erreichen können, wenn wir jetzt nicht lockerlassen. Diesmal soll hochradioaktiver Atommüll aus dem AKW Brunsbüttel auf Reise gehen. Möglicherweise werden auch Castoren aus Stade, Mülheim-Kärlich oder Unterweser angekoppelt. Am Mittwochabend soll der Transport die deutsch-französische Grenze zwischen Wörth und Lautenburg passieren. Ich hoffe, dass es genügend Menschen gibt, die trotz der notwendigen Einmischung in Sachen Krieg, Feindbilder und innere Sicherheit die Zeit und Kraft finden, sich gerade jetzt querzustellen.

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