„Milchkuh für Politiker“

Der ehemalige Chef des französischen Elf-Konzerns berichtet in einem Buch auch über Kontakte zur SPD in der Leuna-Affäre. Die Strategie „hatte ihren Preis“

PARIS taz ■ Wer wissen wollte, warum es in Deutschland bis heute keine Aufklärung über die 76 Millionen Mark Schmiergelder gibt, die der französische Konzern Elf Anfang der 90er-Jahre bei der Privatisierung der Minol-Tankstellen und der Leuna-Raffinerie gezahlt hat, der war auf Spekulationen angewiesen. Bis gestern. Da erschien in Paris ein Buch, in dem der einst mächtigste Mann des mächtigsten Konzern Frankreichs seine Version beschreibt. Laut Ex-Elf-Chef Loik Le Floch Prigent war „das Geld dazu bestimmt, Persönlichkeiten oder politische Kreise in Deutschland [. . .] zu bestechen“. Von den aus Paris gezahlten Millionen habe nicht nur Exkanzler Kohl, sondern auch die damals oppositionelle SPD profitiert, ergänzt Le Floch Prigent.

Der einstige Spitzenmanager, der nach dem Mineralölkonzern Elf (1989–1993) die Unternehmen „Gaz de France“ (1993–1995) und die französische Bahngesellschaft SNCF (1996) leitete, hat heute mehr als zwei Dutzend Verfahren wegen Bestechung und Mitwirkung bei Bestechungen am Hals. In einer Sache wurde er im Mai dieses Jahres zu einer Haftstrafe verurteilt. Gegen das Urteil legte er Berufung ein.

Le Floch Prigent hat seine Karriere dem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand zu verdanken. Der jähe Absturz kam im Juli 1996. Da kam Le Floch Prigent eines Morgens als Chef über 180.000 französische Eisenbahner in das Büro der Untersuchungsrichter der Elf-Affäre und verließ es als Gefangener. Seine Untersuchungshaft währte fast ein halbes Jahr.

Knapp fünf Jahre danach ist Le Floch Prigents gestern veröffentlichtes Buch „Affaire Elf – Affaire d'Etat“ (Le Cherche Midi Editeur, 255 Seiten, 110 Francs) eine Rache an den alten Freunden, die ihn fallen gelassen haben. Auch wenn Le Floch Prigent derartige Gelüste ausdrücklich verneint. Das Buch ist ein langes Interview mit einem Journalisten des konservativen Blattes Le Figaro. Eric Decouty befragt den gefallenen Spitzenmanager nicht nur zur Leuna-Minol-Affäre, sondern auch zu zahlreichen anderen dubiosen Geschäften in Afrika und dem Rest der Welt.

Le Floch Prigent beschuldigt sowohl zwei Minister der rot-rosa-grünen Regierung in Paris (Außenminister Védrine und Arbeitsministerin Guigou) als auch die Chefin der Atomindustrie (die Areva-Präsidentin Lauvergeon) der detaillierten Mitwisserschaft bei Elf-Schmiergeldzahlungen. Alle drei arbeiteten im Umfeld von Staatspräsident Mitterrand. Schmiergelddienste von Elf soll laut Le Floch Prigent aber auch Staatspräsident Jacques Chirac in Anspruch genommen haben.

Der Leuna-Affäre ist in dem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Darin erklärt Le Floch Prigent, wie wichtig es Staatspräsident Mitterrand war, den Zuschlag für diese Privatisierung zu bekommen. Mittelmänner seines Konzerns hätten deswegen auch Kontakte zur SPD aufgenommen, um „Zwietracht bei den Sozialdemokraten zu säen“. Le Floch Prigent: „Es sollte sichergestellt werden, dass die SPD keinen glaubwürdigen Kandidaten gegenüber der CDU aufstellen (bei den Bundestagswahlen 1994, d. Red) würde.“ Diese Strategie sei, so der Ex-Elf-Chef, gelungen, „hatte aber ihren Preis“.

Die Namen der Bestochenen und die Höhe einzelner Bestechungsgelder nennt Le Floch Prigent nicht. Über derartige Details habe er keine Kenntnis gehabt. Im Interview mit einem französischen Fernsehsender bestand er hingegen darauf, dass „alle französischen Staatspräsidenten, alle Finanzminister und alle Premierminister“ den Konzern als „staatliches System“ gekannt und zu politischen Zwecken genutzt haben. Elf, so Le Floch Prigent über den Anfang der 60er-Jahre gegründeten Konzern, „ist eine Milchkuh für Politiker“. DOROTHEA HAHN