Orpheus in der Datenwelt

Alltag und Mythos im Zeitalter des Internets: Das Computersingspiel „Eurydike@Unterwelt“ an der Neuköllner Oper

Merkwürdig, im Theater etwas vorgesetzt zu bekommen, was man täglich am eigenen Küchentisch haben kann – die Erzählung vom kleinen Krieg der Liebe. Sie und Er ringen im Beziehungsclinch, mit viel Hingabe, und ohne Aussicht auf Erfolg. Das zieht und zerrt, quiekt und schreit und bemüht einen alten Mythos, von dem man nicht so recht weiß, wie er dort hinein gekommen ist.

„Eurydike@Unterwelt“ ist ein Musiktheaterstück von Hans Petith (Musik) und Johanna Martin (Text), inszeniert von Matthias Messmer an der Neuköllner Oper. Es führt in gesungener und gesprochener Rede das missverständliche Zwischenmenschliche vor: Ein junges Paar streitet um den Computer, probt Tragisches im Internet, singt und streitet. „Computersingspiel“ nennt sich das Zweipersonenstück, für das Hans Petith Teile der Komposition „L‘Orfeo“ von Claudio Monteverdi verwendete.

In „Eurydike@Unterwelt“ wird nach Monteverdi immer dann gesungen, wenn es dramatisch wird. Asita Djavadi und Matthias Jahrmärker spielen und singen das junge Paar. Musikalisch sind sie beeindruckend, als Schauspieler eher dürftig. Wie bei einer Schultheateraufführung sagen die beiden ihre Sätze auf, rutschen ins Overacting, wenn sie ihren Krieg spielen und können auch ihre Körper in dem winzigen Bühnenraum nicht wirkungsvoll platzieren. Dann müssen sie sich über einen Tisch beugen, der den Bildschirm eines riesigen Computers darstellt, und währenddessen über die Faszination virtueller Realitäten reden.

Er, der Langzeit-Medizinstudent, gleitet eines Nachts in die Tiefen des Netzes und hört Stimmen, die ihn locken. Von ferne singt eine Frau, überirdisch schön: Eurydike. Um unseren Mann ist es geschehen, er fühlt sich zum Orpheus berufen, und singt sich in die elektronische Welt hinein, auf der Suche nach seiner neuen Geliebten. Die „richtige“ Freundin findet das natürlich gar nicht nett, denn niemand schläft mehr mit ihr. Schließlich kommt sie ihrem Schlappmann und seinem Geheimnis auf die Spur, und klickt sich in das virtuelle Geturtel ein. Ach, und dann deutet man Identitäts- und Realitätsverschiebungen an, nichts ist mehr, wie es war, und nichts ist von Bedeutung. Soll die wirkliche Frau nun Eurydike sein, ist alles nur Täuschung, oder gibt es ein autarkes Sein im Netz? Mit diesen bewegenden Fragen bleibt der Zuschauer allein, denn zum Schluss bekommt er die vertrackte Zweierbeziehung als nicht beendetes Computerprogramm serviert. Zum Glück klingen die Monteverdi-Gesänge im Ohr nach.

JANA SITTNICK

„Eurydike@Unterwelt“, bis zum 6.10. jeweils 20 Uhr in der Neuköllner Oper, Karl-Marx-Strasse 131, Neukölln