Ein kultivierter Knirps

Wie eine Fortsetzung der „Simpsons“ mit anderen Mitteln: Auch bei „Malcolm mittendrin“ werden virtuos kleinbürgerliche Werte hintertrieben (21.15 Uhr, Pro7)

„Eine schrecklich nette Familie“ ohne zynische Zoten, aber mit echtem Witz

von CHRISTIAN BUSS

Wer zur Schulleitung beordert wird, hat nichts zu lachen. Malcolm trifft es besonders hart: Im Zimmer des Rektors kiekst eine Blondine „Hi, ich bin Marilyn“, stellt dem Zehnjährigen alberne Fragen und stuft ihn als hoch begabt ein. Malcolm, der nicht nur über einen IQ von 165 verfügt, sondern auch über eine verblüffende Klarsicht, macht sich keine Illusionen: „Ist man hier intelligent, ist das so, als wäre man radioaktiv.“ Fortan wird auf dem Schulhof ein Sicherheitsabstand zu ihm gewahrt.

Aber Malcolm beklagt sich nicht. Schließlich ist das Gefühl, in die Welt geworfen zu sein, für den philosophisch beschlagenen Jungen nicht neu. Er hat sich arrangiert mit den zweifelhaften Umständen, in denen ihn das Schicksal hat aufschlagen lassen. Seine Umwelt könnte nicht befremdlicher auf ihn wirken: Während des Frühstücks führt die Mutter schon mal eine Ganzkörperrasur beim Vater durch, und auch sonst lässt die Hemmungslosigkeit seiner Erzeuger den kultivierten Knirps verzweifeln. Malcolms Eltern, das ist vielleicht das Bemerkenswerteste an dieser Comedy, laufen meist äußerst spärlich verhüllt durchs Haus. Primäre und sekundäre Geschlechtsteile werden oft nur mit aufgeschlagenen Zeitungen oder Stapeln dreckiger Wäsche verdeckt. Eine Schamlosigkeit, die ungewöhnlich ist in der Welt der adretten Suburbs, wo man beim Teleshopping Bekleidungsaccessoires für jeden Augenblick des Tages bezieht. Doch Malcolms Mutter, eine Frau von geradezu sportiver Taktlosigkeit, hält sich nun mal ebenso wenig an Dresscodes wie an die Standards der Nahrungsaufnahme. Die Lebensmittelausbeute fällt meist erschreckend mager aus. Mom verwaltet den Mangel elegant, mit Blick in den Kühlschrank erklärt sie: „Zwei von euch können ein Stück Pizza essen, der dritte kriegt . . . na ja, das müssen wohl Erbsen sein.“

Trotz der Versorgungsenpässe handelt es sich bei Wunderkind Malcolm und seinem wunderlichen Anhang über einen erstaunlich intakten Clan. Ihr Zusammenleben steht allerdings in krassem Gegensatz zu den handelsüblichen medialen Spiegelungen des amerikanischen Vorstadtglücks. Was wohl der Grund dafür ist, dass „Malcolm in the Middle“, wie die Serie im Original heißt, in den USA die Konkurrenz locker abgehängt hat – und dem Sender Fox enorme Werbeeinahmen bescherte. Zeitweise galt die Comedy als Marktführer unter den 14- bis 49-Jährigen.

Die Programmverantwortlichen von Pro7, die sich der in Regel beim Versenden von US-Importen relativ geschickt verhalten, scheinen auf einen ähnlichen Erfolg zu hoffen. Jedenfalls wird „Malcolm mittendrin“ im Anschluss an die (heute mit einer neuen Staffel am Start stehenden) „Simpsons“ gezeigt – auch wenn das so ist, um es mit Malcolms Worten zu sagen, „als ob man nach der Streisand auf die Bühne geht“.

Im Vergleich zum unermesslichen Zitatenreichtum der großen amerikanischen Zeichentrick-Saga, in der nationale Mythen am Donut verdrückenden Verlierer Homer Simpson nachgespielt werden, wirkt die auf Schulhof und Wohnzimmer begrenzte Serie tatsächlich beschaulich. Trotzdem erstaunt die Virtuosität, mit der bei „Malcolm mittendrin“ die Norm hintertrieben wird, ohne die „Family Values“ zu verraten. Denn obwohl so ziemlich jede Pervertierung vorgeführt wird, zu der es kommen kann, wo sich Menschen auf wenig Raum zusammenrotten, ist die Teen-Comedy angenehm frei von Zynismus. Mit den gezielten Grausamkeiten der Sitcom „Eine schrecklich nette Familie“, mit der sie in den USA immer wieder verglichen wurde, weil Malcolms Sippschaft ein gewisser Hang zur Schlampigkeit nicht abzusprechen ist, hat die Serie nichts gemein. Gleichwohl muss Malcolm, der vom 14-jährigen Shooting-Star Frankie Muniz als Mischung aus Bart Simpson und Holden Caulfield gespielt wird, einige schmerzhafte Erfahrungen machen. Die schmerzhafteste ist sicherlich jene, anders als der Rest zu sein. So gewinnt die Serie ihre Dynamik vor allem aus dem Umstand, dass der ansonsten allwissende Winzling sich nie so recht sicher ist, ob er sich vom Status quo nun angezogen oder abgestoßen fühlen soll. Eine gewisse Sehnsucht nach Normalität beflügelt aber auf jeden Fall auch diesen Pubertätshelden. Was nicht verwundert, denn nach seiner Enttarnung als Intelligenzbestie muss Malcolm sein Dasein in der Klasse für Hochbegabte fristen.

Die erste Folge erzählt davon, wie er in dieser besonders lebensfeindlichen Umgebung einen Verbündeten findet – einen asthmakranken Jungen im Rollstuhl, der nicht Fernsehen gucken will, weil ihm seine Eltern erzählt haben, das mache dumm. Malcolm, der gequälte Genius, kontert darauf voller Sehnsucht: „Es macht dich normal.“ Hat man je ein besseres Argument fürs Fernsehen gehört?