Chronologie eines Verdachts

Die Humboldt-Universität will für den Umzug ihres Buchbestandes über 100.000 Mark mehr als nötig ausgeben. Schadensersatzklagen und Zwangsmaßnahmen werden zusätzlich in Kauf genommen

von ARMIN BEBER

Wie teuer ist es, 33 Kilometer Bücher in Kisten zu packen, durch die Stadt zu fahren und wieder ins Regal zu räumen? Oder: Wie teuer muss es sein? Seit Monaten will die Humboldt-Universität ihre Buchbestände von der Kerpener Speditionsfirma Gottschalk transportieren lassen, obwohl die Konkurrenzfirma Grohmann Atollo das günstigere Angebot vorgelegt hat. Die kämpft deshalb mit rechtlichen Mitteln um den Auftrag. Trotz eines Verbots hat die Universität jetzt den Umzug teilweise durchgeführt. Nicht nur diese Art, Fakten zu schaffen, lässt die Auftragsvergabepraxis der Humboldt-Universität in zweifelhaften Licht erscheinen. Eine Chronologie:

April 2001. Die HU schreibt europaweit einen Umzug von 1,5 Millionen Büchern aus den drei Außenmagazinen und dem Archiv der Universitätsbibliothek zum neuen Magazin am Eichborndamm aus. Geschätzter Kostenaufwand: 490.000 Mark.

27. 4. 01. Bis zum Stichtag erhält die Universität zehn Angebote mit einer Preisspanne von 327.000 bis 1,6 Millionen Mark. Das Angebot der Spedition Grohmann Atollo ist das günstigste. Die Kerpener Umzugsfirma Gottschalk verlangt für den Umzug des Buchbestandes 440.000 Mark. Trotzdem bekommt Gottschalk den Zuschlag. Dem billigeren Angebot von Grohmann Atollo misstrauen die Umzugsmanager der HU, obwohl sie nach einem früheren Auftrag für die Universität dem Unternehmen ein zufriedenes Empfehlungsschreiben ausgestellt hatten. Grohmann Atollo legt Beschwerde bei der Vergabekammer des Landes Berlin ein. Diese überwacht die ordnungsgemäße Vergabe öffentlicher Aufträge.

10. Juli 2001. Grohmann Atollo bekommt Recht. In ihrem Beschluss stellt die Vergabekammer rügend fest, dass die Universität von den vier günstigsten Angeboten nur das der Firma Gottschalk ernsthaft geprüft habe. Wörtlich heißt es: „Offensichtlich wurde von vornherein das Angebot der Firma Gottschalk präferenziert.“ Die Universität wird verpflichtet, das Vergabeverfahren neu aufzurollen.

13. 7. 2001. Für das angeordnete Nachprüfungsverfahren stellt die Universität einen Katalog von Ausschluss-, Prüfungs- und Wertungskriterien auf. Aufgrund dieser Kriterien wird das Angebot von Grohmann Atollo als „unvollständig“ von der Bewertung ausgeschlossen. Wieder erhält Gottschalk den Zuschlag, obwohl auch deren Unterlagen unvollständig sind. In diesem Fall zeigt sich die Universität aber kulant und fordert die fehlenden Unterlagen nach. Grohmann Atollo reicht erneut Beschwerde ein.

31. 8. 2001. Wieder bekommt Grohman Atollo von der Vergabekammer Recht. Die nachträglich aufgestellten Kriterien hätten als Instrument gedient, „um die Anzahl der Angebote in unzulässiger Weise zu reduzieren“, moniert das dreiköpfige Gremium. Es verbietet der HU, der Firma Gottschalk den Zuschlag zu erteilen, und fordert die Uni-Leitung auf, die Bewertung aller Angebote erneut durchzuführen.

3. 9. 2001. Die Universitätsleitung entschließt sich zu einem rechtlich höchst zweifelhaften Schritt: Sie schreibt den Auftrag für einen Teil des Umzugs, nämlich den der Bestände am Salzufer 14, neu aus und vergibt ihn freihändig. Von drei Firmen holen die Umzugsplaner Angebote ein und „hoffen darauf, dass Gottschalk das beste Angebot vorlegt“, gibt Ewald Schwalgin, technischer Leiter der HU, zu. Dass Gottschalk den Zuschlag erhalten hat, sei aber Zufall. „Die Firma hat eben tatsächlich das beste Angebot vorgelegt. Sogar 20.000 Mark billiger als ursprünglich geplant“, so Schwalgin. Auch Schadenersatzforderungen durch Grohmann Atollo fürchtet die Universität nicht. Man habe das durchgerechnet und sei zu dem Schluss gekommen, dass die geringer ausfallen werden als die Mietkosten von 60.000 Mark monatlich, die zusätzlich angefallen wären, wenn die Buchbestände länger als geplant an ihren alten Standorten stehen müssten, sagt Schwalgin.

20. 9.2001. Der Anwalt von Grohmann Atollo kündigt an, außer Schadenersatz auch Zwangsmaßnahmen gegen die Verantwortlichen der Humboldt-Universität zu beantragen.