Bush trommelt die Welt zusammen

Der US-Präsident steht unter Erwartungsdruck. Aber der Wunsch nach einem schnellen Schlag gegen einen undefinierbaren Gegner gibt noch keine Ziele

aus Washington ANDREA BÖHM

Es war des Präsidenten großer Auftritt vor der Nation. Den wenn auch nur leise geäußerten Verdacht so mancher Landsleute, er könne mit dieser Krise überfordert sein, hat George W. Bush am Donnerstagabend in seiner Rede vor dem Kongress fürs Erste beseitigt. 40 Minuten lang schwor Bush das Land auf einen lang anhaltenden „Krieg gegen den Terror ein“. Ein Krieg, der „dramatische Schläge“, den Einsatz von Bodentruppen wie verdeckte Operationen einschließen könnte, „die selbst in ihrem Erfolg geheimgehalten“ würden.

Unterbrochen von unzähligen stehenden Ovationen verzichtete Bush auf seine Rambo-Rhetorik vergangener Tage. Von „Dead or alive“-Parolen oder der „monumentalen Schlacht gegen das Böse“ war nichts zu hören. Dafür machte er unmissverständlich klar, dass sich die USA die Definition ihrer Kriegsgegner und die Wahl ihrer Mittel vorbehalten. „Wir werden jede uns zur Verfügung stehende Ressource nutzen – jedes Werkzeug der Geheimdienste, jedes Instrument der Strafverfolgung, jeden finanziellen Einfluss und jede erforderliche Kriegswaffe –, um das globale Terrornetzwerk zu sprengen.“

Mit anderen Worten: Die alten Grenzen zwischen Militär- und Polizeieinsätzen sowie verdeckten Operationen werden aufgehoben gegen einen Feind, der sich nicht direkt erklärt. Dass die USA bei diesem Unterfangen auf einige bekannte Gesichter stoßen dürften, die sie einst ausgebildet und ausgerüstet haben, war so manchem im Publikum klar. Nur würde es in diesen Tagen keiner laut zu sagen wagen.

Oberstes Ziel sind vorerst noch die afghanischen Taliban und Ussama Bin Ladens Terrornetzwerk Al-Qaida. Während im Rahmen von „Operation Infinite Justice“ Truppen mobilisiert, Flugzeugträger in Stellung gebracht und Kampfflugzeuge an den Golf verlegt werden, stellte Bush „nicht verhandelbare Forderungen“ an die Taliban: Auslieferung aller Führer von Al-Qaida, Freilassung aller Ausländer, Schließung aller Ausbildungslager und uneingeschränkte Inspektion der Camps durch US-Einheiten. Da niemand ernsthaft glauben kann, dass diesem Katalog entsprochen wird, „kann man jetzt förmlich hören, wie die Uhr für die Taliban tickt“, so ein Kommentator.

Durch seine Rhetorik der letzten Tage hatte George Bush sich selbst unter militärischen Erwartungsdruck gestellt. Doch der Wunsch nach einem schnellen Schlag gegen einen undefinierbaren Gegner gibt noch keine Ziele. Aus Paris, Berlin oder Moskau wird zwar weiterhin Solidarität gemeldet, aber auch zu Zurückhaltung gemahnt. Und innerhalb des Beraterkreises des Präsidenten gibt es höchst unterschiedliche Auffassungen über die richtige Strategie.

Der Angriff vom 11. September hat zweifellos persönliche Rivalitäten hinten angestellt. Doch die New York Times berichtete in ihrer Ausgabe vom Donnerstag über gravierende Meinungsverschiedenheiten vor allem zwischen Außenminister Colin Powell und dem stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz. Wolfowitz hatte wenige Tage nach dem Anschlag davon gesprochen, Staaten, die Terroristen unterstützten, zu eliminieren („ending states“). Die Formulierung zog er wenig später zurück, doch ganz oben auf seiner Liste der Militärziele steht der Irak. Zusammen mit Lewis Libby, dem Stabschef von Vizepräsident Richard Cheney, soll Wolfowitz sich massiv für eine schnelle, breite Kampagne von Bombenangriffen gegen Bin Ladens Stützpunkte in Afghanistan sowie gegen mutmaßliche Terroristenstützpunkte im libanesichen Bekaa-Tal und im Irak stark machen. Powell hingegen sieht durch einen Angriff auf den Irak, mit dessen leidender Zivilbevölkerung die arabische Welt sympathisiere, seine Bemühungen um eine möglichst breite internationale Koalition für „Operation Infinite Justice“ gefährdet. Fürs Erste hat sich der Außenminister wohl durchgesetzt.

Bushs Auftritt vom Donnerstag fand unter nie da gewesenen Sicherheitsvorkehrungen statt: Neun Tage nach dem Angriff auf New York City und Washington und genau eine Woche, nachdem das Capitol in Erwartung einer weiteren Attacke evakuiert wurde. Dem Fernsehpublikum und den Abgeordneten präsentierte Bush ein neues Kabinettsmitglied, das in Zukunft das neue „Büro für die innere Sicherheit“ leiten soll: Pennsylvanias Gouverneur Tom Ridge soll den Wirrwarr von Behörden im Bereich Polizei, Nachrichtendienste und Katastrophenschutz koordinieren und womöglich die Nationalgarde, die Grenzpolizei, die Zollbehörde und die Küstenwache unter einem Dach zusammenfassen. So lautet zumindest eine der Empfehlungen der Hart-Rudman-Kommission. Unter Führung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Senators Gary Hart hat diese überparteiliche Kommission in den letzten drei Jahren die „Verteidigungsbereitschaft“ auf US-Territorium untersucht und war zu dem Schluss gekommen, dass es viele Pläne und wenig Umsetzung gegeben habe. Vor allem rächt sich hier die US-amerikanische Tradition, jeder Form von Zentralgewalt zunächst zu misstrauen.

Im Nachhinein klingt die Prognose der Kommission wahrlich bitter: „In den nächsten 25 Jahren“ müssten die USA mit einem katastrophalen Anschlag auf ihrem Boden rechnen, hatte sie im Januar diesen Jahres in ihrem Abschlussbericht an den Präsidenten gewarnt. Sie sollte Recht behalten. Nur ahnte damals keiner, dass der Angriff schon in wenigen Monaten erfolgen würde.