Müssen wir jetzt alle Amis sein?

„Wir sind alle Amerikaner“, will „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner „in unser Universum hinausschreien“, die „B.Z.“ legt die US-Flagge bei und die „Abendzeitung“ spekuliert, ob das Oktoberfest gefährdet ist. Sogar die „FAZ“ benimmt sich merkwürdig

von DANIEL FERSCH
und ARNO FRANK

„Wenn Rom attackiert wird“, sagte gestern ein Nato-Sicherheitsexperte, „dann ruft es seine Provinzen zu Hilfe.“ Zumindest auf einen altbekannten Bündnispartner kann sich US-Amerika nun offenbar felsenfest verlassen: den Springer-Verlag, der aus gegebenem Anlass die Rhetorik aus Frontstadtzeiten wieder entdeckt. „Was auch geschieht, wir stehen unverbrüchlich an der Seite Amerikas“, schreibt der altgediente Redakteur Ernst Cramer im Leitkommentar der gestrigen Bild-Zeitung. Und über sechs Seiten hinweg erläutern dann in klassenlosem Schulterschluss Prominente und Normalbürger, warum „wir jetzt alle Amerikaner sind“.

Allerdings belässt es Springer nicht bei Lippenbekenntnissen, sondern nimmt in die „Unternehmensgrundsätze“ auf, was ohnehin schon seit Jahr und Tag klar ist: Mitarbeiter werden zur „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ verpflichtet.

Wie publizistische Bündnistreue mit journalistischer Objektivität einhergehen sollen, zeigt Springers Blatt B.Z. gleich in der Praxis. Auf Seite 3 sind die objektiv günstigsten Aufmarschpläne für einen US-amerikanischen Gegenschlag auf Afghanistan als Grafik abgebildet. So fließend können die Übergänge zwischen menschlicher Empörung und geistiger Mobilmachung sein.

Denn wo sich selbst CIA und FBI nur zu „90 Prozent“ sicher sind, ist für die Hilftruppen vom Boulevard längst Ussama Bin Laden der „Vater“ (Abendzeitung) oder die „Fratze des Terrors“ (Berliner Kurier) – Steckbriefe mit dem Konterfei des Terroristen zieren die ersten Seiten der B.Z., dem Kölner Express und der Münchener Abendzeitung. Dort ist natürlich auch die Frage, ob das Oktorberfest nun ausfallen muss oder nicht, von dringender Relevanz. Abseits der allgemeinen Anti-Islamisten-Hysterie druckt auf pietätischem Grau immerhin der Berliner Kurier, dass „Berliner Muslime“ über die Anschläge „entsetzt“ seien.

Der heiße Krieger Georg Gafron dagegen behält in seiner B.Z. einen klaren Kopf und entdeckt bereits einen „ersten Riss“ in der vaterländisch-parlamentarischen Einheitsfront – den „kalten“ und „distanzierten“ Kommentar eines PDS-Politikers („In diesen Tagen entscheidet sich, wie zivilisiert die zivilisierte Welt ist“) interpretiert Gafron, ganz Berliner Wahlkämpfer, als „klammheimliches oder auch offenes Verständnis“ für die Terroristen.

Ein Fauxpas anderer Art ist gestern dem weithin geschätzten FAZ-Feuilleton unterlaufen. Auf fünf Spalten druckt die Zeitung eine Liste der Mieter des „World Trade Center Register Business Directory“ als Gedenktafel. Doch leider scheint gerade den Kulturredakteuren entgangen zu sein, dass die Zwillingstürme auch Sitz zahlreicher wichtiger Kultureinrichtungen waren.

Eine andere Form des Gedenkens pflegt die Bild-Zeitung und hat ihre Edelfeder Peter Bachér flugs ein „Gebet für Amerika“ dichten lassen. „Gott, sag uns, ob dies der Anfang ist von einer Erde voller Blut . . .“ Jenes berühmte Time-Life-Bild, wo US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg auf Iwo Jima die Fahne („Old Glory“) hissen, haben New Yorker Feuerwehrleute über den Trümmerbergen nachgestellt: das Foto füllt die letzte Seite der Bild, die damit ebenjenes süßliche Pathos reproduziert, das uns im Kino immer übel aufgestoßen ist. Roms Provinz zeigt Flagge: „Stars and Stripes“ war gestern grafisch in den Schriftzug „Bild“ eingearbeitet und die B.Z. legt eine Papierflagge „für Windschutzscheibe, Schaufenster und Wohnungstür“ bei.