Sichere Wolkenkratzer gibt es nicht

Ein 800 Grad heißes Inferno ließ die beiden Zwillingstürme des World Trade Centers kollabieren. Das Feuer weichte Stahlträger auf, ließ die Decken einstürzen und löste so einen Schneeballeffekt mit katastrophalen Folgen aus. Statiker: Schutz vor solchen Terroranschlägen ist unmöglich

von CONSTANTIN VOGT

Das Ausmaß der Katastrophe wäre noch viel größer gewesen, hätte nicht die Konstruktion des World Trade Centers Tausenden das Leben gerettet. Die Türme hielten über eine Stunde lang dem 800 Grad Celsius heißen Höllenfeuer stand. Zeit genug für viele, um aus dem brennenden Wolkenkratzer zu flüchten. Zum Einsturz gebracht haben die Türme letztendlich nicht die Flugzeugexplosionen, sondern die Feuerstürme im Inneren.

„Das Gebäude war so konstruiert, dass es der ungeheuren Wucht der Einschläge standhalten konnte“, sagt der Statik-Experte Wolfgang Sundermann aus Stuttgart. Dabei waren die Explosionen so heftig, dass die Türme des Wolkenkratzers regelrecht durchschlagen wurden. Die Flugzeuge rissen zudem riesige Löcher in die Fassade.

Das alles hat aber nicht gereicht, um das World Trade Center völlig zu zerstören, dank der ausgeklügelten Konstruktion. Sundermann erklärt: „Das muss man sich vorstellen wie eine senkrecht aufgestellte Zahnpasta-Schachtel, nur mit einem Kern.“ Der Fachbegriff heißt „Tube-Verfahren“ – „Röhrenbauweise“ auf Deutsch. Die Fassade besteht dabei aus unzähligen Stahlstützen, sie tragen einen wesentlichen Teil des Gewichtes. Im Innern hält ein Kern von Stahlträgern die Türme stabil. „Zwischen der Außenfassade und dem Stahlkern sind die Böden der Stockwerke eingehängt“, sagt Sundermann. Die Hauptlast der Böden trägt der Kern, die Stahlfassade schützt das Gebäude insbesondere gegen Wind.

Zum Einsturz brachte das Welthandelszentrum ein verheerender Schneeballeffekt: 90.000 Liter Flugzeugtreibstoff entfachten über mehrere Stockwerke ein 800 Grad heißes Inferno. Das brachte die Stahlträger zwischen den Stockwerken zum Schmelzen – die Decken brachen ein. Die Böden sind ausgelegt für eine Belastung von bis zu 300 Kilogramm pro Quadratmeter. Dasselbe Gewicht besitzen etwa die Decken. Stürzt die erste Decke ein, löst sie damit einen Schneeballeffekt aus – das Gebäude bricht innerlich zusammen. Erst kurz danach fällt auch die Fassade.

„Die Stahlträger sind durch Ummantelungen gegen Feuer geschützt“, sagt Statik-Experte Sundermann. Drei Stunden lang sollen die Stützen damit laut US-Baurecht der Hitze standhalten. In Deutschland müssen sie nur zwei Stunden halten. „Im Regelfall reicht die Zeit, um einen Brand zu löschen oder einzudämmen“, so Sundermann. „Vermutlich haben die Rettungskräfte deshalb überhaupt noch das Gebäude betreten.“ sagt Sundermann. Ein tödlicher Fehler, denn das Kerosin-Feuer im World Trade Center war nicht mit einem herkömmlichen Brand zu vergleichen. Die Temperaturen waren viel höher, der Stahl war viel schneller aufgeweicht.

Dem Einschlag zweier Flugzeuge hätte auch kein anderer Wolkenkratzer auf der Welt standgehalten, meint Sundermann, ein Schutz sei so gut wie unmöglich: „Gegen so einen extremen Eingriff in die Statik kann ein Gebäude gar nicht ausgelegt werden.“ Und immerhin habe das Welthandelszentrum ja schon die Explosionen überstanden, ohne zusammenzubrechen.

Sundermann ist Projektleiter beim Bau des 160 Meter hohen Post-Towers in Bonn. Ende 2002 soll das Gebäude mit 41 Stockwerken bezugsfertig sein. 2.000 Menschen werden dort arbeiten. Der Tower wird das höchste Gebäude der Region. Bei einem Flugzeugaufprall würde zumindest ein Teil des Hochhauses stehen bleiben, so Sundermann: „Wir bauen nach einem anderen Prinzip. Unser Gebäude wird einen Stahlbetonkern haben. Der ist wesentlich feuerbeständiger als ummantelte Stahlträger.“ Nach der Katastrophe von New York werden die Baupläne nicht geändert: „Dafür ist es zu spät. Zwei Drittel des Gebäudes stehen schon.“ Mögliche Verbesserungen würden einen grundlegenden Einschnitt in die Statik und Architektur bedeuten: „Das würde heißen: größere Kosten und weniger Bürofläche. Und trotz allem ist eine solche Katastrophe immer noch sehr, sehr unwahrscheinlich.“ Allerdings solle man grundsätzlich darüber nachdenken, ob besonders exponierte Gebäude in Zukunft nicht besser geschützt werden müssten. „Man könnte Wolkenkratzer so planen, dass auch bei einer teilweisen Zerstörung die Last der Statik auf verschiedene, noch intakte Teile des Gebäudes verteilt wird“, meint Sundermann. Sicherheit gegen Terroranschläge biete aber nur ein Bunker.