Rechtsstreit um Menschenfracht

Australiens Bundesgericht entscheidet gegen die Regierung und fordert die Rückkehr der afghanischen „Tampa“-Flüchtlinge an Land

aus MelbourneBORIS B. BEHRSING

Die hartherzige Einwanderungspolitik der australischen Regierung hat juristisch einen schweren Rückschlag erlitten. Das australische Bundesgericht in Melbourne hat das Vorgehen der Regierung gegenüber den afghanischen Asylsuchenden als illegal gebrandmarkt.

In seinem mit Spannung erwarteten Urteil erklärte Richter Tony North im Falle der Flüchtlinge vom norwegischen Frachter „Tampa“, dass die Regierung illegal gehandelt hat. Sie hatte die 433 vorwiegend afghanischen Flüchtlinge, die von der „Tampa“ von einem sinkenden indonesischen Schiff gerettet worden waren, nicht an Land gelassen, sondern dort in Haft genommen und von 45 schwer bewaffneten Soldaten der Elitetruppe SAS bewachen lassen. Laut dem Urteil des Bundesgerichts muss die Regierung die Asylsuchenden bis Freitag, 17 Uhr australischer Zeit, nach Australien zurückbringen und an Land lassen. In seiner Urteilsbegründung erklärte Richter North: „Es ist ein altertümliches Recht des Gerichts, Menschen vor Inhaftierung zu schützen, die ohne gesetzliche Autorität erfolgt.“ Die Klage gegen die Abschiebung war von Menschenrechtsgruppen vor zehn Tagen beim Bundesgericht eingereicht worden.

Das Truppentransportschiff „Manoora“, auf dem sich die Asylsuchenden derzeit befinden, werde seinen Kurs nicht ändern, erklärte am Dienstag Einwanderungsminister Philip Ruddock und kündigte eine Berufung der Regierung gegen das Urteil an. Das Schiff steuert weiter das armselige pazifische Eiland Nauru an. Für ein Hilfspaket im Wert von umgerechnet 22 Millionen Mark hat sich Nauru bereit erklärt, die in Australien unerwünschten Flüchtlinge vorübergehend aufzunehmen.

Frei sein werden die Flüchtlinge auch auf diesem Atoll nicht: Australien liefert auf dem Luftwege die Drahtzäune, die um die Unterkünfte aufgestellt werden sollen. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge auf die Reede von Port Moresby in Papua-Neuguinea gebracht und von dort mit Flugzeugen nach Neuseeland und Nauru transportiert werden. Nun soll es, wie am Dienstag aus dem Verteidigungsministerium verlautete, direkt nach Nauru gehen. Voraussichtlich werden die Flüchtlinge noch so lange auf dem Marine-Schiff bleiben müssen, bis über die Berufung entschieden ist.

Das Urteil des Bundesgerichts ist ein schwerer Schlag gegen die von der Regierung Howard vor kurzem eingeschlagene unerbittlich harte Politik der Abriegelung Australiens gegenüber illegalen Einwanderern, die sich in Australien um Asyl bewerben wollen. Überraschend ist, dass die oppositionelle Labor Party diese Politik unterstützt.

Die Situation für Australien hat sich am Dienstag noch durch das Eintreffen eines weiteren indonesischen Fischereifahrzeuges mit etwa 130 Flüchtlingen verschärft, das vor der australischen Küste auf ein Riff gelaufen ist. Einwanderungsminister Ruddock erklärte, die australische Marine werde das Schiff wieder flott und seetüchtig machen, bevor es umgedreht und nach Indonesien zurückgeschickt werde.

Während die Handhabung der legalen Einwanderung zweifellos eine australische Erfolgsstory ist, haften der Behandlung der vielen, an der west- und nordaustralischen Küste von den meist asiatischen Menschenschmugglerbooten angelandeten Boat People Skandaldimensionen an. Aufgrund der australischen Einwanderungspolitik werden die angelandeten Asylbewerber – Männer, Frauen und Kinder – zwangsweise sofort isoliert und in von Stacheldraht umgebenen Internierungslagern in den Wüstengebieten des Südkontinents so lange eingesperrt, bis das Bundeseinwanderungsministerium in Canberra über ihr Schicksal – Anerkennung und Aufnahme als Asylbewerber oder aber Deportation ins Heimatland – entschieden hat. Das Urteil des Bundesgerichts scheint das Ende dieser Politik und erhebliche Kompensationsforderung der zu Unrecht Inhaftierten zu avisieren. Derzeit leben etwa 3.000 Illegale in den Internierungslagern.

Mit zunehmender Besorgnis beobachten die Australier die steigenden Kosten der Flüchtlingspolitik. Die Kosten der von Premierminister Howard „Pazifische Lösung“ genannten „Tampa“-Operation sind nach Expertenschätzungen inzwischen auf umgerechnet mindestens 77 Millionen Mark gestiegen, das sind 176.000 Mark pro Flüchtling. Nach den dem Bundesgericht in Melbourne vorgelegten Unterlagen kostete der anfängliche militärische Einsatz 22 Millionen Mark. Dieser Betrag erhöht sich täglich um 3,3 Millionen. Die Unterbringung eines Asylbewerbers an Land und die Bearbeitung seiner Bewerbung kostet sonst 55.000 Mark. Nach dieser Rechnung hätte es den Staat nur etwa 37 Millionen Mark gekostet, wären die derzeit auf der „Manoora“ befindlichen 670 Flüchtlinge an Land gelassen worden.