Punk ist tot – und das Leben geht weiter

Wiederbegegnung mit den eigenen Lebensentwürfen: Vera Voigts Dokumentarfilm „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ (SWR, 22.45 Uhr)

„Was bedeutet Punk für dich heute?“ – Der junge Mann, den alle nur Buffo nennen, zögert lange mit der Antwor. Ja, Buffo schaut aus, als wundere er sich gerade über sich selbst und noch mehr über die Erkenntnis, die er gleich vor laufender Kamera abliefert: „Also Punk bestimmt einen großen Teil meines Lebens . . . wenn er nicht sogar mein Leben ist.“

Buffo ist einer von vier alten Freunden aus der Hamburger Punkszene, die Vera Voigt in ihrem Dokumentarfilm „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ porträtiert: außer Buffo sind das Claus, der heute in Hamburg Bier braut, Detlef, der mit seiner Frau und ein paar Hunden in Kalifornien lebt und bei Yahoo! arbeitet, und der Tocotronic-Bassist Jan Müller. Voigt hat sie besucht und begibt sich mit der Kamera in die Spuren ihres alten und neuen Lebens.

Aufschlussreich dabei: Schon die Beweggründe, Punk zu werden, waren bei allen jeweils ganz andere, nicht zuletzt bei Vera Voigt selbst. Sie bezeichnet es in ihrer kleinen Einleitung aus dem Off als „außen vor sein“ und sagt dann: „Ich wollte mein Arschloch-Umfeld gegen Freunde eintauschen, die mich verstehen.“ Ein Jahrzehnt später haben sich alle Beteiligten in die unterschiedlichsten Richtungen entwickelt. Buffo ist immer noch Punk, merkt aber, dass die Zeiten irgendwie andere geworden ist; Detlef ist nicht nur räumlich weit weg, sondern hat mit alternativen Lebensmodellen nichts mehr am Hut; Claus sagt, Punk bedeute: „Du kannst es machen, wenn du willst“, und legt in seinem weiß gestrichenen, stuckverzierten Altbauzimmer noch einmal eine Punkplatte auf.

Zumindest Jan merkt man an, dass sich durch Punk längerfristig etwas verändert hat. Noch immer scheint er nicht in sein Elternhaus im Hamburger Nobelviertel zu passen. Auch dass man älter werden muss, will ihm nicht recht in den Kopf: „Ich bin ein eher melancholischer Typ.“ Ewig Punk sein geht aber nicht, das hätten ihn die Jahre bei Tocotronic gelehrt: „Da machst du dich ja irgendwann lächerlich.“

Manchmal aber würde man als Zuschauer gern mehr wissen über die vier Männer (und auch über Voigt, die ja die fünfte im Bunde ist), würde gern mehr Gründe und Hintergründe erfahren. Da geht es nicht mehr nur um Punk, sondern um Lebensentwürfe, um Glück, Zufriedenheit und Sinn. Da ist ihr Film eindringlich, bleibt aber oft genug zu sehr an der Oberfläche – 60 Minuten langen halt nicht für größere Zusammenhänge.

Manchmal ist aber auch einfach nicht mehr zu holen bei jemandem wie Detlef, wenn der sagt: „Früher hatte ich einfach kein Geld, um Jet-Ski zu fahren.“ War eben doch nur eine Phase. Nichts bleibt für die Ewigkeit, und im Leben schon gar nicht.

GERRIT BARTELS