bohley trifft pds-jugend
: Wider das Vergessen

Und der Zukunft zugewandt

Hat Bärbel Bohley wirklich gedacht, ihre jugendlichen Gesprächspartner würden alte SED-Kader vor ihr in Schutz nehmen? Jugendliche, die sich im PDS-nahen Jugendverband [’solid] gegen Rechtsextremismus und für Verbesserungen im Bildungssystem einsetzen? Junge Leute wie Katrin Lübke aus Ostberlin, die nach der Wende an einer Westschule ihr Abi gemacht haben? „Die PDS ist für mich die alte SED“, erklärt Bohley, kaum dass sie auf dem grünen Plüschsofa der kleinen Kreuzberger Kneipe „Kato“ Platz genommen hat.

Der Widerspruch bleibt aus, auch wenn die Jugendlichen die Ängste Bohleys nicht teilen. Sie suchen kein Streitgespräch, sondern Ermunterung zu politischem Engagement von einer Frau, die gegen staatliche Repression unermüdlich für ihre Ideen eingetreten ist. Die in der DDR pazifistische und sozialistische Visionen entwickelt hat und auch heute noch für ihre Prinzipien eintritt. Also haben die Jugendlichen die ostdeutsche Bürgerrechtlerin zum Gespräch geladen, und Bärbel Bohley ist gekommen, um über die DDR, die Mauer, den Sozialismus und natürlich auch die SED-Vergangenheit der PDS zu diskutieren.

Sie wird nicht diskutieren müssen an diesem Abend. Niemand stellt ihre Deutungshoheit über die DDR-Geschichte, die sie schon oft gegen das Geschichtsbild alter SED-Genossen und DDR-Nostalgiker verteidigen musste, in Frage. Unermüdlich wird sie als Zeitzeugin befragt, als kostbare Erfahrungsquelle, die es zu nutzen gilt, um sich ein Bild von Ereignissen machen zu können, die ein heute Zwanzigjähriger nicht bewusst erleben konnte.

Die einnehmende Offenheit der Jugendlichen irritiert. „Die PDS ist für mich immer noch die alte SED“ – das lässt sich nicht beiseite schieben. Nie. Selbst gegenüber engagierten [’solid]-Aktivisten nicht. Und wenn das Alter jede Schuld ausschließt, dann ist es eben die Naivität, der falsche Glaube an den Sozialismus, den es zu geißeln gilt. „Sozialismus und Demokratie schließen sich aus“, erklärt Bohley mit Nachdruck. „Sozialismus funktioniert nicht ohne Feinde.“ Dabei dient ihr die eigene Biografie als Ausrufezeichen, und in ihrer Bestimmtheit liegt eine Schärfe, die nicht den Eindruck vermittelt, als ob sie heute ohne Feindbilder auskommt.

Auf die politischen Streitfragen haben die gut vorbereiteten jungen Gastgeber gewartet. In der Hoffnung, dass die Bürgerrechtlerin nicht alle Ideen aufgegeben hat, für die sie noch zu Wendezeiten eingetreten ist, suchen sie nach gemeinsamen politischen Überzeugungen. Was haben Sie für Visionen? „Der Sozialismus ist eine schöne Idee, aber zum Leben taugt er nicht“, sagt sie. Aber für was treten Sie ein? „Ich trete für die FDP ein, weil ich gegen die PDS bin“, sagt sie. Aber Sie müssen doch eine Vision haben, eine Idee, was man in Deutschland verändern muss? „Man sollte keinen Wahlkampf mit Visionen machen, sondern pragmatisch bleiben“, sagt sie. In dem ergebnislosen Fragespiel agiert die Bürgerrechtlerin seltsam rückwärts gewandt. Ängstlich. Die PDS ist immer noch die alte SED. Bloß nicht vergessen.

ARMIN BEBER