Der Gangster ist müde geworden

■ Kämpfer wider die kassenträchtigen Genrekonventionen des Hongkong-Kinos: Das 3001 zeigt in dieser Woche Johnnie Tos Where A Good Man Goes

Erstmal losgelassen, rotiert der Mann wie ein Ventilator mit Bluthochdruck. Und das scheint ziemlich oft zu passieren. Fragte man ihn an der Hotelrezeption nach seinem Beruf, gäbe er sicher sofort „troublemaker“ an. Im Western kann so einer wie er nur durch eine Frau zur Ruhe gebracht werden. Doch dies ist kein Western, und ein sesshafter Typ ist er eigentlich auch nicht. Dafür hat er nämlich zu oft sitzen müssen.

In Where A Good Man Goes heißt dieser Typ Michael (Lau Ching Wan). Michael kommt gerade aus dem Knast der ehemaligen portugiesischen Kronkolonie Macao, doch das hindert ihn nicht, sich sofort mit einem Taxifahrer anzulegen. Schnell hat der ehemalige Triadenboss eine blutige Nase und genauso schnell einen Filz aus korrupten Taxifahrern und Bullen an den Hacken. Wankend rettet er sich in ein kleines Hotel, das von der Witwe Judy (Ruby Wong) und ihrem kleinen Sohn betrieben wird. Doch bereits am nächsten Tag steht der schmierige Cop Karl (Lai Yiu-Chiang) vor der Tür und nimmt Michael auf äußerst demütigende Weise fest. Erst als Judy trotz Drohungen bei ihrer Behauptung bleibt, der auch sie nur herumkommandierende Michael sei an der Schlägerei unschuldig, wird er wieder auf freien Fuß gesetzt, allerdings unter ständiger Überwachung.

Von da an beginnt Hongkong-Erneuerer Johnnie To (Heroic Trio, Black Mask) zwei gegenläufige Geschichten von Geld und Liebe zu erzählen: Die eine handelt von Michaels mitunter gewaltätigen Geschäftsaktivitäten, die andere vom stets bedrohten Band, das sich dann doch, wenn auch nur mühsam, zwischen Gast und Wirtin entspannt.

„Expect the unexpected“, gibt der 1955 geborene Regisseur, der in den 70er-Jahren sein Handwerk beim Fernsehsender TVB lernte, als seine Geschäfts-Philosophie an. Und tatsächlich beherrscht der Produzent von überbordenden Actionfilmen wie Heroic Trio auch kompliziertere Zwischentöne. Das Martial-Arts-Womens'-Picture The Barefoot Kid lehnte er an Nicholas Rays Johnny Guitar an und nahm in seiner virtuos getakteten Melodramatik bereits wesentliche Versatzstücke eines international vermarktbaren Crossover-Hits wie Tiger and Dragon vorweg.

Als Produzent des stylishen Kühlhaus-Thrillers Beyond Hypothermia etablierte To den Schauspieler Lau Ching Wan zunächst als wenig mehr, denn als dicklichen, wenn auch ungeheuer sympathischen Nudelverkäufer – heute, nach einigen Jahren der Vollbeschäftigung im Hause To, gilt er als einer der vielseitigsten Schauspieler Hongkongs, der mühelos die von Chow Yun-Fat hinterlassene Lücke ausfüllt. Mit einer ganz ähnlichen Cary-Grant-Persona, übrigens. Das amerikanische Filmfachblatt Variety kürte ihn dafür kürzlich zu einem der zehn besten Schauspieler der Welt.

In Where A Good Man Goes, der mit den vorangegangenen Teilen von Tos Gangster-Trilogie The Mission und Running Out Of Time eine seltsam ausgebremste Stimmung teilt, entwi-ckelt Lau Ching Wan den Triadenboss Michael zur zutiefst müden Gangsterfigur ganz im Sinne der von To seit einigen Jahren betrieben Revision von kassenträchtigen Genrekonventionen. Einmal sehen wir ihn auf dem Arbeitsamt, am Ende lässt er sich sogar freiwillig zusammenschlagen. To gibt seinem Hauptdarsteller Lau Ching Wan dabei genug Raum, dieses männliche Resozialisierungsdrama auch dort auszuspielen, wo es hingehört: im Charakterfach. Ihm bei der Arbeit zuzusehen, bereitet eines der größten Vergnügen, die das malade Kino Hongkongs seinen Freunden in letzter Zeit zu bieten hatte. Tobias Nagl

täglich, 22.45 Uhr, 3001