Das Volk soll mitentscheiden

Vorbild Schweiz: Noch vor den nächsten Bundestagswahlen möchte Rot-Grün einen Gesetzentwurf zur Volksabstimmung vorlegen. SPD will jedoch hohe Hürden vorbauen

BERLIN taz ■ „Weg von der Zuschauerdemokratie, hin zu mündigen Bürgern“, fordern die Grünen und drängen noch in dieser Legislaturperiode auf eine Verfassungsänderung. Mit ihr soll auch auf Bundesebene möglich werden, was den Bürgern in den Ländern längst erlaubt ist: per Volksabstimmung über politische Fragen mitzubestimmen.

„Es geht nicht darum, die repräsentative Demokratie zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen“, betonte Fraktionschefin Kerstin Müller gestern bei einer Fachanhörung der Grünen in Berlin. Die Parteispendenaffäre der Union habe zu einer Vertrauenskrise geführt, so der demokratiepolitische Sprecher Gerald Häfner. „Die Grünen müssen zeigen, dass sie ein anderes Verständnis von Politik haben.“

Ein Vorbild ist die Schweiz: Dort haben die Bürger durch eine Volksabstimmung die Rente und die Bahn reformiert.

Die Grünen setzen auf ein dreistufiges Verfahren: Der erste Schritt ist die Volksinitiative, mit der sich der Bundestag binnen sechs Monaten befassen muss. Sind die Initiatoren mit der parlamentarischen Behandlung nicht einverstanden, können sie ein Volksbegehren einleiten. Gegenstand ist nun zwingend ein Gesetzentwurf. Wenn das Parlament diesen nicht übernimmt, kann nach sechs Monaten ein Volksentscheid eingeleitet werden. Anders als die Vorstufen ist ein erfolgreicher Volksentscheid ein direktes Gesetzgebungsverfahren durch die Bevölkerung.

Derzeit gibt es direkte Demokratie nur auf kommunaler und Landesebene. Laut Umfragen wollen sie jedoch 85 Prozent der Deutschen auch auf Bundesebene. Die größten Sympathien hegen die Grünen-Wähler.

Die SPD zeigte sich lange Zeit wenig aufgeschlossen. Erst im März verabschiedete das Präsidium einen entsprechenden Beschluss. Doch die grünen Pläne gehen deutlich weiter. So will die Partei für eine Volksinitiative 100.000 Unterschriften vorschreiben, die SPD dagegen 600.000. Für ein Volksbegehren sind nach Ansicht der Grünen 1,5 Millionen Unterschriften nötig, die SPD fordert 3 Millionen. Beim Volksentscheid wollen die Grünen kein Quorum vorgeben, die SPD aber 20 Prozent.

Ginge es nach den Grünen, kämen fast alle Themen für eine Volksabstimmung in Frage. Einzig die Entscheidung über den Bundeshaushalt wollen sie dem Parlament vorbehalten. Haushalts- und finanzwirksame Initiativen sollen aber möglich sein. Das will die SPD nicht mittragen. „Die Gespräche gehen nicht so schnell voran, wie ich es mir wünsche“, so Häfner.

Die SPD ist nicht das einzige Problem: Für das grüne Projekt ist eine Verfassungsänderung und also eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. Doch die Union verweigert sich bisher.

Aber auch die Grünen wollen den Bürgern Grenzen setzen. Verfassungsfeindliche Volksinitiativen sollen unzulässig sein. Fraktionschefin Müller warnte vor ausländerfeindlichen Kampagnen wie die der Hessen-Union gegen den Doppelpass für Ausländer. Über einen Minderheitenschutz im Gesetzentwurf, so Häfner, werde noch diskutiert. NICOLE MASCHLER