UNTERLASSENE HILFELEISTUNG AUF HOHER SEE LÄSST SICH VERMEIDEN
: Geld oder Leben

Brutaler kann der Konflikt „Geld oder Leben“ kaum aussehen. Wer als Kapitän auf hoher See ein sinkendes Schiff passiert, muss sich entscheiden. Das internationale Seerecht verpflichtet ihn zur Hilfe, aber sie kann teuer werden. Für einen Frachter wie die norwegische „Tampa“, die 438 meist afghanische Flüchtlinge vor der indonesischen Küste aus dem Wasser gefischt hat, fallen schnell hunderttausende Dollar Kosten an – vor allem, wenn sich die Suche nach einem Aufnahmeland in die Länge zieht. Üblicherweise trachten Unternehmen danach, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Im Fall der „Tampa“ ist es genau andersherum: Die Verluste werden privatisiert, die Gewinne sozialisiert.

Nun steigt der wirtschaftliche Druck auf einen Kapitän noch mehr, besonders nachts: Stoppen oder . . . wegschauen, weiterfahren und hoffen, dass sich niemand den Schiffsnamen gemerkt hat oder es keine Überlebenden gibt. Wie viele Menschen durch unterlassene Hilfeleistung auf See schon den Tod gefunden haben, kann niemand sagen. Die zunehmende Armutswanderung wird solche Fälle aber häufiger werden lassen.

Dabei sind solche Katastrophen mit einfachen Mitteln zu verhindern. Schon heute versichern britische Spezialagenturen das Schadensrisiko durch Seenotrettung. Aber ohne dazu gezwungen zu werden, leisten sich nur wenige Verfrachter diese Prämienzahlungen. Hilfreicher wäre ein Fonds bei einer weltweit präsenten Seefahrtsbehörde, etwa der International Maritime Organization. Der Fonds würde mit Zahlungszusagen über ein paar Millionen Dollar ausgestattet, kommerziell verwaltet und käme dafür auf, den Reedereien die Kosten zu erstatten, die ihnen durch die Rettungspflicht entstanden sind. Einzahlen könnten die Mitgliedsländer der OECD, auf die ohnehin der größte Teil des Schiffs- und Frachtverkehrs entfällt.

So einfach wäre ein furchtbares Folgeproblem der internationalen Flüchtlingsmigration beseitigt: dass Menschen ertrinken müssen, weil Kapitänen oder Reedern die Rettung zu teuer kommt.

DIETMAR BARTZ