Von „Täterinnen“ zu Opfern

SPD und Grüne machen Frauenhandel zum Thema im Bundestag: Zwangsprostituierte nicht mehr als Rechtsbrecherinnen behandeln, sondern als schutzbedürftige Opfer

BERLIN taz ■ Mit einem neuen Maßnahmenkatalog wollen die Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen die Rechte von Opfern des weltweiten Frauenhandels in Deutschland stärken. Der Bundestagsantrag, der in Kürze ins Parlament eingebracht werden soll, wird zwar keine unmittelbaren gesetzgeberischen Konsequenzen haben, stellt aber eine politische Willenserklärung der Regierungsparteien dar.

Würden die Vorschläge des Antrags umgesetzt, hätten Frauen, die als „menschliche Ware“ gezwungenermaßen in der Bundesrepublik leben, eine deutlich bessere Stellung und mehr Hilfe zu erwarten. Darauf wies Irmingard Schewe-Gerigk, die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, gestern in Berlin hin, als sie den Antrag vorstellte.

Die Definition von Menschenhandel soll erweitert werden. Neben sexueller Ausbeutung, der die Mehrheit der Frauen ausgesetzt ist, sollen auch Zwangsheirat und sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse einbezogen werden. Damit regt der Antrag also eine Gesetzesänderung an. SPD und Grüne fordern insbesondere die Abstimmung der Maßnahmen und ein bundeseinheitliches Vorgehen von Ländern und Bundesregierung im Problembereich Frauenhandel.

Die betroffenen Frauen sollen durch Polizei und staatliche Behörden nicht als Verletzerinnen des Ausländerrechts, sondern als schutzbedürftige Opfer, deren grundsätzliche Menschenrechte über lange Zeit massiv und anhaltend verletzt wurden, behandelt werden. Dazu wird eine breite Aufklärungskampagne angeregt. Die Behörden sollen darüber hinaus mit den zahlreichen Beratungsstellen für Zwangsprostituierte zusammenarbeiten.

Bereits seit Oktober 2000 ist eine Verwaltungsvorschrift in Kraft, die es den Ausländerbehörden erlaubt, von Menschenhandel betroffene Frauen nicht sofort abzuschieben. Ihnen kann eine Frist zur freiwilligen Ausreise von mindestens vier Wochen gestellt werden. Diese Regelung wird aber nicht bundesweit angewandt. Die Frauen würden auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen, sondern häufig sofort abgeschoben, so Schewe-Gerigk.

Auch der Opfer- und Zeugenschutz soll ausgeweitet werden. Der Antrag regt an, den aussagewilligen Frauen auch über den Gerichtsprozess hinaus ein Bleiberecht in der Bundesrepublik zu garantieren. Erst dann hätten die Frauen ein Interesse, mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Zwangsprostituierte und andere Betroffene sollen also entkriminalisiert und die Behörden im Umgang mit ihnen sensibilisiert werden.

Die Zahl der Frauen, die jährlich nach Westeuropa verschleppt und verkauft werden, beläuft sich nach EU-Schätzungen auf 120.000 jährlich. 90 Prozent der Frauen kommen aus Osteuropa. Meistens werden sie mit falschen Versprechungen angelockt und dann zur Prostitution gezwungen. Die Gewinne der Menschenhändler sind hoch. Sie werden EU-weit auf sieben bis 13 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Der Antrag fordert, beschlagnahmte Gelder künftig für die Opferbetreuung einzusetzen. HEIKO HÄNSEL