Nicht mal Bananen

Tausende arbeitslose Tagelöhner sind zu Bettlern geworden

LA DALIA taz ■ Die Dörfer entlang der Landstraße von Matagalpa nach La Dalia heißen El Progreso (Der Fortschritt), El Paraiso (Das Paradies), La Esperanza (Die Hoffnung). Aber da ist nichts von alledem. Üppig wucherndes tropisches Grün gibt es dort und Hunger, aber keine Hoffnung. 50 Kilometer sind es von Matagalpa nach la Dalia. Unterwegs gibt es fünf Straßensperren.

Vielleicht 2.000 Menschen lagern seit Wochen an dieser Straße im Nordwesten Nicaraguas. Sie spannen ein Seil über die Fahrbahn und bitten die Fahrer der anhaltenden Wagen um Geld und Lebensmittel. „120 Cordobas haben wir heute bekommen“, sagt Reina Gutiérrez an der letzten Sperre kurz vor La Dalia. Das sind umgerechnet knapp 20 Mark. „Das reicht vielleicht für eine Kochbanane und ein bisschen Salz für jeden von uns.“ Viel mehr am Tag haben sie und ihre sechs Kinder schon lange nicht mehr gegessen. Das jüngste ist gerade ein Jahr alt und schläft auf einer Plastiktüte im Straßengraben. „Besser, es schläft“, sagt die Mutter. „Dann weint es nicht.“

Reina Gutiérrez ist 31 und wohnt in einem Bretterbudenviertel in La Dalia, ohne Wasser und Strom. Seit sie zwölf war, ging sie jeden Tag auf eine Kaffeeplantage. „Der Besitzer kam morgens mit einem Laster ins Dorf und hat uns hinausgefahren. Ich habe gejätet, geerntet, Essen gekocht für die Männer. 20 Cordobas gab es am Tag.“ Seit Ende Januar gibt es nichts mehr. Kaum eine Plantage wird wegen der niedrigen Kaffeepreise noch bewirtschaftet. „Arbeit gibt es genug“, sagt Gutiérrez. „Aber es gibt kein Geld.“

Allein in La Dalia und den dazugehörenden Weilern sind 12.000 Tagelöhner arbeitslos. Vorsichtig kalkuliert sind das 60.000 Hungernde. „So etwas hat es in der Geschichte dieses Ortes noch nie gegeben“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin, Socorro Mendoza. Und Amílcar Navarro vom Verband der Kaffeepflanzer warnt: „Die Krise spitzt sich von Tag zu Tag zu. Wenn nicht bald etwas passiert, wird es eine soziale Explosion geben. Nicht nur hier in Nicaragua, sondern in der ganzen Region.“

Er wird sie mit zu verantworten haben. Denn die Plantagenbesitzer jammern zwar selbst und fordern Subventionen von der Regierung. Gleichzeitig tun sie nichts für die Arbeiter. „Sie geben uns nicht mal die Bananen, die zwischen den Kaffeesträuchern wachsen“, sagt Gutiérrez. „Ich würde es nicht als Raub betrachten, wenn wir sie uns trotzdem nähmen.“ Ein paar Hungernde hätten das schon versucht. Doch die Wächter auf den Plantagen hätten Anweisung, die Hungernden zu vertreiben. „Sie haben mit der Schrotflinte auf uns geschossen.“ TONI KEPPELER