Pest und Plankenschrubben live

■ Bremer Geschichten durch die Brille: Das Sankt Jacobus Packhaus im Schnoor öffnet ab Ende November seine erstaunlichen Räume für den geschichtsinteressierten Massentouristen / Ein Erlebnisgang durch die Jahrhunderte in wunderschönen Räumen

„Sie haben aus Abenteuerlust auf einer Kogge angeheuert, der Kapitän schreit: schrubb' die Planken, aber so, dass ich mich drin' spiegeln kann und steig dann rauf aufs Krähennest und guck' ordentlich in alle Richtungen.“ Wenig später: „Piiiiraaaaaaaten!!!!“ Dann eine sonore Stimme aus dem Off: „Die Piraten greifen an, was tun Sie? Springen Sie ins Wasser oder bleiben Sie im Krähennest?“

Eine knappe Minute aus dem zukünftigen Programm eines interaktiv ausgestatteten Mitmach-Museums im Jacobus-Packhaus im Schnoor existiert bereits. Der Rest folgt bis Ende November, denn dann soll Eröffnung sein in der Wüsten Stätte, so der Name einer der vielen Gassen und Gässchen in Bremens ältestem Viertel.

Eine Attraktion soll hier entstehen, die von den Initiatoren, der Stiftung Sankt-Jacobus-Packhaus und der Agentur ,mach was' in einem Atemzug mit dem Universum und dem Space Park genannt wird. „Wir schließen hier eine touristische Lücke, aber auch eine der schulischen Bildung“ freut sich Stiftungsmitglied und Sparkassen- Vorstand Ulrich Nölle. ,Für Geschichte begeistern' sei das Motto, Edutainment das Stichwort. Im Klartext: Mit einer Technobrille auf der Nase können Besucher und Besucherinnen historische Bremer Situationen in „100 Prozent-Animationen“ sehen und auch ein biss-chen Mitspielen. Im Ja-Nein-Schema beeinflusst der Brillenträger den Fortgang der Geschichte. „Lehnen Sie sich als junge Bremerin gegen ihr konservatives Elternhaus auf? Gehen Sie vielleicht als Künstlerin weg von zu Hause“, beschreibt Christian Bals von ,mach was' eine der Episoden. Sie spielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wer dabei an Worpswede und Paula Modersohn denkt, der liegt bestimmt nicht verkehrt. Um grobe Fehler in der Darstellung zu vermeiden, hat man sich Beratung bei Hartmut Müller, dem kenntnisreichen ehemaligen Leiter des Bremer Staatsarchivs gesucht. Es werden die augenfälligen und die auffälligen Geschichten Bremens sein, die der Schnoor-Event präsentieren wird: die Pest und der Zweiten Weltkrieg, ein Kaufmannsschicksal und eine Hafenrundfahrt. Man wird danach vielleicht ein bisschen mehr wissen, aber man wird sich wohl in erster Linie über die technischen Höhepunkte austauschen.

Sicher kein Ausstellungskonzept fürs Bildungsbürgertum, aber doch für etliche der 8.000 Toristen, die zur besten Reisezeit täglich durch den Schnoor pilgern.

Für den weniger erlebnisorientierten Geschmack ist dennoch das Gebäude selbst zu entdecken: Mit der Nummer 10 steht seit 1680 das fünfstöckige Packhaus in der schmalen Straße; Waren aller Art, die im vor dem Schnoor gelegenen Hafen ankamen, wurden dort zwischengelagert. Von der Arbeit späterer Packergenerationen zeugen noch heute die Graffitis, die um 1900 im Erdgeschoss als Sprüche, Flüche und Karikaturen an die Wand gepinselt worden waren.

Fünf Stockwerke, das ist für den Schnoor nicht nur eine erhebliche Geschoss-höhe, mit 45 Metern ist das Haus vor allem unglaublich tief. Von der Wüsten Stätte ragt es fast bis zum Stavendamm, das zweite Geschoss soll weitgehend leer bleiben, so dass man dort das erstaunliche Ausmaß einer Etage weiterhin erleben kann.

Darüber residiert auf weiteren zwei Stockwerken die Agentur ,mach was'; mit ihrer Miete – über die natürlich Stillschweigen bewahrt wird – soll sich das Haus zum Teil finanzieren. Die Einnahmen aus Eintrittsgeldern habe man, so Wilfried Schwarting, „bescheiden“ kalkuliert. Der Vorstandsvorsitzende rechnet am Tag mit 140 bis 180 Besuchern, der Eintritt soll bei sechs Euro liegen. Die Einmal-Kosten von Renovierung und Ausstellung seien zwischen dem Wirtschaftssenator, der Stiftung Wohnliche Stadt und privaten Spendern aufgeteilt worden.

Wie genau sich die Investitionen von bislang rund zehneinhalb Millionen Mark aufteilen, scheint nicht so leicht zu sagen: „Wir haben um jede Mark gekämpft“, betont Ulrich Nölle jedenfalls, und er habe sein Wort gegeben, dass das Projekt keine Dauerzuschüsse in Anspruch nehme. Der Wirtschaftssenator hat bislang gut acht Millionen für die Renovierung übernommen. Als Nölle von einem weiteren Finanzierungsantrag für die Umsetzung des Ausstellungskonzeptes spricht, schüttelt die bei der Pressekonferenz anwesende Vetreterin des Wirtschaftssenators verwundert den Kopf. Auch die privaten Mittel seien größtenteil noch in Verhandlung.

So leicht sei das mit dem Sponsoring nicht mehr, gibt der Projektberater Werner Stoffregen zu. Man sei aber mit vier großen Bremer Firmen kurz vor Abschluss der Gespräche. Und die Gegenleistung? „Nun, wir wollen hier keine Werbebude“, sagt Werner Stoffregen, „aber einige würden hier schon auch gerne ihre Geschichte darstellen“.

Elke Heyduck