Zum 13. August rufen sie „Verräter!“

Die Politik begeht den Jahrestag des Mauerbaus in geschmeidiger Routine – nur die Opferverbände wollen sich nicht recht ins Ritual fügen. Sie protestieren gegen die Zusammenarbeit von SPD und PDS – meist ungebeten

von HEIKO HÄNSEL

Sie riefen „Verräter“ und auf ihren Plakaten stand „SPD-PDS – Denkt an die Mauertoten“. Vertreter von Opferverbänden des SED-Regimes haben den gestrigen Mauergedenktag zu Protesten gegen die Zusammenarbeit von SPD und PDS genutzt.

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit (SPD) in der Gedenkstätte in der Bernauer Straße Kränze niederlegten, wurden sie von etwa 50 Demonstranten empfangen. Nicht nur die SPD-Prominenz war das Ziel des Protests – die Demonstranten entfernten und zertrampelten auch die Kränze der PDS. Die Partei hatte einen Blumenhändler mit der Niederlegung beauftragt, der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Harald Wolf erschien erst nach den Opferverbänden.

Schröder forderte an der Bernauer Straße, alle demokratischen Kräfte müssten sich Totalitarismus und Unrecht entgegenstellen. Nur das Erinnern könne verhindern, dass ein Ereignis wie der Mauerbau wieder geschehe. Er verachte diejenigen, die den Bau der Mauer befohlen hätten.

Bei der offiziellen Feier im Roten Rathaus sprach als einziger Vertreter von Opferverbänden Heinz Gerull, der Vorsitzende des von Willy Brandt gegründeten Kurt-Schumacher-Kreises, in dem ehemalige politische Häftlinge organisiert sind. Die anderen Organisationen boykottierten die Gedenkfeier des Senats mit etwa 300 Teilnehmern. Gerull nannte den Mauerbau „eines der größten Verbrechen gegen das deutsche Volk“ und wertete die Zusammenarbeit mit der PDS als „Verrat an Freiheit und Demokratie“. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) erinnerte an die rund 960 Toten dieses „bösesten Bauwerks“ des SED-Regimes und deutete den Fall der Mauer als „Selbstbefreiung der Ostdeutschen“.

Auch die Veranstaltung im Roten Rathaus wurde von ehemaligen politischen Häftlingen und Oppositionellen in der DDR zu Unmutsäußerungen genutzt. Hans-Eberhard Zahn, 73 und Ehrenvorsitzender des Bundes Freiheit der Wissenschaft, ergriff das Wort, obwohl er nicht auf der Rednerliste stand. Auch er verurteilte das Zusammengehen von PDS und SPD scharf. Zahn war 1953 in Ostberlin von der Staatssicherheit entführt worden und verbrachte sieben Jahre in DDR-Gefängnissen. Bürgermeister Wowereit forderte die PDS auf, sich bei den vielen Opfern der Diktatur zu entschuldigen.

Dagegen bekräftigte Gregor Gysi, der PDS-Spitzenkandidat für die Berliner Wahl am 21. Oktober, in einer Pressemitteilung die Ansicht, dass sich seine Partei nicht für die Mauertoten entschuldigen könne. Solange die Forderung nicht von den Opfern, sondern vom politischen Gegner komme, diene sie vor allem der Diskreditierung der PDS.